BVerfG: Zum Begriff der Schmähkritik, I BvR 2979/10

1. Verfassungsrechtlich ist die Schmähung eng definiert. Sie liegt bei einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage nur ausnahmsweise vor und ist eher auf die Privatfehde beschränkt. Eine Schmähkritik ist dadurch gekennzeichnet, dass nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. 

2. Äußerungen, die sich auf einen Text beziehen, haben einen Sachzusammenhang und sind als Meinungsäußerungen einzustufen. Da das Grundrecht auf Meinungsäußerung aber nicht vorbehaltlos gewährt wird, muss eine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen erfolgen. 

Tatbestand

1 Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen zivilgerichtliche Entscheidungen in einem äußerungsrechtlichen Fall. Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Art. 103 Abs. 1 GG.

2 1. Der Beschwerdeführer und Beklagte des Ausgangsverfahrens ist Rechtsanwalt. Der Kläger des Ausgangsverfahrens, ebenfalls ein Rechtsanwalt (im Folgenden: Kläger), beschäftigt sich auf seiner Kanzleihomepage und in Veröffentlichungen in Zeitschriften mit politischen Themen. So verfasste er mit einem Co-Autor den Text „Die schleichende Revolution der Kosmokraten", in dem es um die angeblich die Welt beherrschende Gruppe von „Kosmokraten" geht. Darin heißt es:

3 Bis heute sind es aber zumeist die superreichen Familien Englands, Frankreichs und Hollands - größtenteils khasarische, also nicht-semitische Juden -, die das Wirtschaftsgeschehen in der Welt bestimmen.

4 In einem weiteren Artikel mit dem Titel „Art. 146 GG - Die Mär der gesamtdeutschen Verfassung" befasst sich der Kläger mit dem „transitorischen Charakter" des Grundgesetzes. Dort heißt es:

5 Das Grundgesetz ist lediglich ein ordnungsrechtliches Instrumentarium der Siegermächte.

6 In einem Diskussionsforum im Internet (www.antivegan.de/forum) setzte sich der Beschwerdeführer mit diesen Veröffentlichungen unter dem Pseudonym „pünktchen" unter einer Rubrik, die den Namen des Klägers nennt, auseinander und nannte sie „rechtslastigen Dreck". Nachdem der Kläger unter Androhung rechtlicher Schritte die Löschung dieser Formulierung gefordert hatte, äußerte sich der Beschwerdeführer in dem Forum wie folgt:

7 Wieso? Ich finde nun mal, dass Sie rechten Dreck verbreiten. Ich habe oben auch belegt, was ich damit konkret meine. ...

8 Zu dem Artikel „Die Mär von der gesamtdeutschen Verfassung" schrieb der Beschwerdeführer in dem Forum:

9 Er liefert einen seiner typischen rechtsextremen originellen Beiträge zur Besatzerrepublik BRD, die endlich durch einen bioregionalistisch organisierten Volksstaat zu ersetzen sei.

10 Ein Unterlassungsbegehren wies der Beschwerdeführer zurück und führte in einem Schreiben an den Kläger aus:

11 Wer wie Sie meint, die Welt werde im Grunde von einer Gruppe khasarischer Juden beherrscht, welche im Verborgenen die Strippen ziehen, muss es sich gefallen lassen, rechtsradikal genannt zu werden.

12 Dieses Schreiben stellte der Beschwerdeführer einem begrenzten Kreis von Nutzern im Internet zur Verfügung. In diesen Kreis ist allerdings ein „Hacker" eingebrochen.

13 2. Das Landgericht verurteilte mit angegriffenem Urteil den Beschwerdeführer dazu, es zu unterlassen,

14 in Bezug auf den Kläger wörtlich oder sinngemäß zu behaupten oder die Behauptung verbreiten zu lassen, dass er rechtsextreme Beiträge verfasst, und/oder dass sich sein Denken vom klassisch rechtsradikalen verschwörungstheoretischen Weltbild nicht wirklich unterscheidet, und/oder dass er es sich gefallen lassen muss, rechtsradikal genannt zu werden.

15 Zur Begründung führte das Landgericht aus, dass die umstrittenen Äußerungen jeweils einen widerrechtlichen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers darstellten. Die Behauptung, jemand verfasse rechtsextreme Beiträge, und damit sinngemäß die Unterstellung, jemand sei rechtsradikal, stelle nur dann keinen Eingriff dar, wenn sich diese Behauptung zutreffend beweisen lasse beziehungsweise unter dem Schutz des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 GG stehe. Beide Voraussetzungen seien nicht erfüllt.

16 Da der Kläger sich nicht einer überlegenen Gruppe von Menschen zuordne und die Gruppe von Menschen mit großem wirtschaftlichem Einfluss nicht als minderwertige Gruppe bewerte, sei nicht erwiesen, dass die Beiträge rechtsextreme Beiträge seien. Die erforderliche Interessenabwägung falle zu Ungunsten des Beschwerdeführers aus. Diese Ausführungen seien auch auf die zweite und dritte in Frage stehende Meinung des Beschwerdeführers zu übertragen.

17 3. Das Oberlandesgericht wies die Berufung des Beschwerdeführers mit angegriffenem Urteil zurück. Es führt aus, dass es sich bei den beanstandeten Äußerungen um Meinungsäußerungen handele, weil es einer Wertung bedürfe, ob ein Text rechtsradikale Züge trage, beziehungsweise von einem rechtsextremen Gedankengut getragen sei. Eine solche Wertung sei einem Beweis nicht zugänglich. Grob gesagt sei die Grenze der zulässigen Meinungsäußerung bei der sogenannten Schmähkritik erreicht. Hier handele es sich um Schmähkritik, weil der Beschwerdeführer den Kläger ohne jeden nachvollziehbaren Hintergrund aus völlig anderen Motiven als denen einer sachlichen Auseinandersetzung als rechtsradikal habe brandmarken wollen.

18 4. Mit angegriffenem Beschluss wies das Oberlandesgericht die Anhörungsrüge des Beschwerdeführers mit der Begründung zurück, dass die Gründe des Urteils die Ausführungen des Beschwerdeführers nicht außer Acht ließen.

19 5. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seines Grundrechts auf Meinungsfreiheit und einen Gehörsverstoß.

20 Der Kläger habe sich öffentlich zu wesentlich das Gemeinwohl betreffenden Fragen geäußert. Für die vom Beschwerdeführer daran geäußerte Kritik spreche eine Vermutung der Zulässigkeit. An die Bewertung einer Äußerung als Schmähkritik seien strenge Maßstäbe anzulegen. Die inkriminierten Äußerungen hätten konkrete Bezugspunkte. Das Oberlandesgericht verkenne, dass es keines speziellen Anlasses bedürfe, sich zu öffentlich geäußerten Ansichten seinerseits kritisch zu äußern.

21 Art. 103 Abs. 1 GG sei verletzt, weil das Oberlandesgericht den Vortrag des Beschwerdeführers nicht zur Kenntnis genommen und sich nicht mit ihm auseinandergesetzt habe.

22 6. Der Kläger des Ausgangsverfahrens hat sich zu der Verfassungsbeschwerde geäußert und hält sie für unzulässig und unbegründet. Die Bayerische Staatsregierung hat keine Stellungnahme abgegeben. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.

Entscheidungsgründe

[...]

BVerfG, 17.9.2012, I BvR 2979/10

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