In der Vergangenheit war es bei Betriebsprüfungen gängige Praxis der Finanzämter, Eingangsrechnungen auf formale Fehler hin zu untersuchen. Wurden die Vorgaben des § 14 Abs. 4 UStG nicht beachtet, versagte der Betriebsprüfer den Vorsteuerabzug. Erst mit Vorlage ordnungsgemäßer (korrigierter) Rechnungen war ein Vorsteuerabzug (wieder) möglich. Das Problem in der Praxis bestand nun darin, dass für das Finanzamt vom Unternehmer für die Zeit zwischen ursprünglicher (fehlerhafter) Rechnungsstellung und späterer Rechnungskorrektur Zinsen gem. § 233a AO forderte. Diesem Vorgehen hat der EuGH in einer aktuellen Entscheidung Senatex eine Absage erteilt. Der BFH hat sich dieser Auffassung zwischenzeitlich angeschlossen und seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben. Allen Betroffenen ist insoweit zu empfehlen, bereits im Rahmen von Betriebsprüfungen qualifizierte Einwendungen gegen eine Verzinsung vorzubringen und ggf. gegen (geänderte) Steuerbescheide Einspruch einzulegen.
Beispiel: Eine Betriebsprüfung im Dezember 2016 erstreckt sich auf die Veranlagungszeiträume 2010 bis 2012. Der Betriebsprüfer stellt dabei fest, dass bei einigen Eingangsrechnungen die Steuernummer fehlt. Er fordert den Unternehmer zur Korrektur auf. Wenige Tage später legt der Unternehmer noch im Dezember 2016 korrigierte und formal ordnungsgemäße Eingangsrechnungen vor. Bisher hat das Finanzamt den Vorsteuerabzug erst zu Dezember 2016 akzeptiert. Für die Zwischenzeit von ursprünglicher Rechnungsstellung in 2010 bis 2012 und Dezember 2016 wurden dem Unternehmer Nachzahlungszinsen gem. § 233a AO berechnet.
Entscheidung des EuGH - Senatex
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat diese Praxis deutscher Finanzämter mit Urteil vom 15.09.2016 (EuGH, 15.09.2016, C-518/14 - Senatex) untersagt. Der EuGH weist in seiner Entscheidung darauf hin, dass es sich beim "Recht der Steuerpflichtigen, von der von ihnen geschuldeten Mehrwertsteuer die Mehrwertsteuer abzuziehen, die für die von ihnen auf einer vorausgehenden Umsatzstufe erworbenen Gegenstände und empfangenen Dienstleistungen als Vorsteuer geschuldet wird oder entrichtet wurde, [um]ein Grundprinzip des durch das Unionsrecht geschaffenen gemeinsamen Mehrwertsteuersystems" handelt. "Durch die Regelung über den Vorsteuerabzug soll der Unternehmer vollständig von der im Rahmen aller seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden." Recht auf Vorsteuerabzug ist nach dem EuGH integraler Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer und kann grundsätzlich nicht eingeschränkt werden. "Eine nationale Regelung [...], nach der Nachzahlungszinsen auf die vor einer Berichtigung der ursprünglich ausgestellten Rechnung als geschuldet angesehenen Mehrwertsteuerbeträge zu entrichten sind, belegt diese wirtschaftlichen Tätigkeiten jedoch mit einer aus der Mehrwertsteuer resultierenden steuerlichen Belastung, obwohl das gemeinsame Mehrwertsteuersystem die Neutralität dieser Steuer garantiert." Dies ist nach der Entscheidung Senatex des EuGH unzulässig.
Entscheidung des BFH
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat sich der Auffassung des EuGH zwischenzeitlich angeschlossen (BFH, 20.10.2016, V R 26/15). Seine zuvor abweichende Rechtsauffassung hat der BFH aufgegeben. In der Entscheidung benennt der BFH zugleich Voraussetzungen für eine Rechnungsberichtigung.
Bewertung und Empfehlung
Für Unternehmen sind diese Entscheidungen positiv. Es kann damit verhindert werden, dass Vorsteuern auf formal fehlerhaften Rechnungen zu verzinsen sind. Sollten Betriebsprüfer bzw. Finanzämter in diesem Zusammenhang Zinsen fordern, sollten betroffene Unternehmer unbedingt Einspruch gegen die jeweiligen Steuerbescheide einlegen und ggf. auch Klage beim Finanzgericht erheben.