EuGH: Biermarken "Budweiser" besitzen hinreichend Unterscheidungskraft, C-483/09

1. Die Duldung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken ist ein Begriff des Unionsrechts, und es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Inhaber einer älteren Marke eine langdauernde und gefestigte redliche Benutzung einer mit seiner Marke identischen Marke durch einen Dritten geduldet hat, wenn er von dieser Benutzung seit langem Kenntnis hatte, aber keine Möglichkeit hatte, sich ihr zu widersetzen.

2. Die Eintragung der älteren Marke im betreffenden Mitgliedstaat ist keine notwendige Voraussetzung für das Ingangsetzen der Frist für die Verwirkung durch Duldung gemäß Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 89/104. Die vom nationalen Richter zu prüfenden notwendigen Voraussetzungen für das Ingangsetzen dieser Frist sind erstens die Eintragung der jüngeren Marke im betreffenden Mitgliedstaat, zweitens Gutgläubigkeit bei der Anmeldung dieser Marke, drittens die Benutzung der jüngeren Marke durch deren Inhaber in dem Mitgliedstaat, in dem sie eingetragen worden ist, und viertens die Kenntnis des Inhabers der älteren Marke von der Eintragung der jüngeren Marke und von deren Benutzung nach ihrer Eintragung.

3. Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 89/104 ist dahin auszulegen, dass der Inhaber einer älteren Marke die Ungültigerklärung einer identischen jüngeren Marke, die identische Waren kennzeichnet, nicht erwirken kann, wenn diese beiden Marken über eine lange Zeit hinweg in redlicher Weise gleichzeitig benutzt worden sind, wenn unter Umständen wie denen des Ausgangsfalls diese Benutzung die Hauptfunktion der Marke, d. h. die Gewährleistung der Herkunft der Waren oder Dienstleistungen gegenüber den Verbrauchern, nicht beeinträchtigt oder beeinträchtigen kann.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

9 Gemäß der Vorlageentscheidung vertreiben sowohl Budvar als auch Anheuser-Busch seit ihrem Eintritt in den Markt des Vereinigten Königreichs in den Jahren 1973 bzw. 1974 ihre Biere unter dem Wortzeichen „Budweiser" oder unter Bezeichnungen, die dieses Zeichen enthalten.

10 Weiter ergibt sich aus der Vorlageentscheidung, dass die Biere von Budvar und von Anheuser-Busch, auch wenn ihre Bezeichnungen identisch sind, nicht die gleichen Eigenschaften aufweisen. Sie unterscheiden sich seit jeher im Geschmack, im Preis und in der Aufmachung, und auf Märkten, auf denen Budvar und Anheuser-Busch nebeneinander bestehen, nehmen die Verbraucher den Unterschied deutlich wahr, obwohl eine gewisse Verwechslungsgefahr zwischen ihnen besteht.

11 Im November 1976 meldete Budvar die Marke „Bud" an. Anheuser-Busch legte hiergegen Widerspruch ein.

12 Im Jahre 1979 verklagte Anheuser-Busch Budvar wegen Kennzeichenmissbrauchs und beantragte, Budvar die Benutzung des Wortes „Budweiser" zu untersagen. Budvar erhob eine Gegenklage wegen Kennzeichenmissbrauchs und beantragte ihrerseits, Anheuser-Busch die Benutzung des Wortes „Budweiser" zu untersagen.

13 Das Widerspruchsverfahren in Bezug auf die Eintragung des Wortes „Bud" wurde in Erwartung der Entscheidung über diese Klagen wegen Kennzeichenmissbrauchs ausgesetzt.

14 Am 11. Dezember 1979 meldete Anheuser-Busch das Wort „Budweiser" als Marke für „Bier, Ale und Porter" an. Dagegen legte Budvar Widerspruch ein.

15 Die Klage und die Gegenklage wegen Kennzeichenmissbrauchs blieben sowohl in der ersten als auch in der Berufungsinstanz erfolglos, weil die mit den Klagen befassten Gerichte der Auffassung waren, dass keine der Parteien eine Falschdarstellung begangen habe und das Wortzeichen „Budweiser" eine doppelte Bekanntheit genieße.

16 Das Wort „Bud" wurde in der Folge zugunsten von Budvar als Marke eingetragen, nachdem der Widerspruch von Anheuser-Busch zurückgewiesen worden war.

17 Am 28. Juni 1989 meldete Budvar mit einem Gegenantrag „Budweiser" an, wogegen Anheuser-Busch Widerspruch erhob.

18 Im Februar 2000 wies der Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) beide Widersprüche gegen die Eintragung „Budweiser" zurück und entschied, dass Budvar und Anheuser-Busch jeweils diesen Begriff als Marke eintragen lassen konnten. Das Gericht wandte das Markengesetz von 1994 an, stützte sich aber auf das Markengesetz von 1938, das ausdrücklich die gleichzeitige Eintragung identischer oder zum Verwechseln ähnlicher Marken in Fällen redlicher gleichzeitiger Benutzung („honest concurrent use") oder bei Vorliegen sonstiger besonderer Umstände zuließ.

19 Im Anschluss an diese Entscheidung wurden am 19. Mai 2000 beide Seiten jeweils als Inhaber der Wortmarke Budweiser für die Waren „Bier, Ale und Porter" im Markenregister des Vereinigten Königreichs eingetragen.

20 Folglich wurden für Budvar im Vereinigten Königreich zwei Marken eingetragen, eine für Bud (Anmeldung im November 1976) und die andere für Budweiser (Anmeldung im Juni 1989). Anheuser-Busch ist Inhaberin der eingetragenen Marke Budweiser (Anmeldung im Dezember 1979).

21 Am 18. Mai 2005, also vier Jahre und 364 Tage nach Eintragung der Marke Budweiser zugunsten von Budvar und Anheuser-Busch, beantragte Anheuser-Busch beim Markenamt des Vereinigten Königreichs die Ungültigerklärung der zugunsten von Budvar eingetragenen Marke.

22 In diesem Antrag machte Anheuser-Busch erstens geltend, dass die Marken Budweiser zwar am selben Tag für die beiden Unternehmen eingetragen worden seien, die Marke von Anheuser-Busch jedoch eine ältere Marke im Sinne von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 89/104 sei, da die Anmeldung früher erfolgt sei als die von Budvar. Zweitens sei sie, da die Marken und die Waren identisch im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie seien, als Inhaberin einer älteren Marke berechtigt, die Ungültigerklärung der Marke von Budvar zu beantragen. Drittens komme eine Verwirkung durch Duldung nicht in Betracht, da die in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie vorgesehene Frist von fünf Jahren nicht abgelaufen sei.

23 Das Markenamt des Vereinigten Königreichs gab dem Antrag von Anheuser-Busch auf Ungültigerklärung der Eintragung statt.

24 Am 19. Februar 2008 wies der High Court of Justice (England & Wales) (Chancery Division) einen von Budvar in Bezug auf die Waren „Bier, Ale und Porter" eingelegten Rechtsbehelf zurück.

25 Das vorlegende Gericht, bei dem Budvar gegen diese Entscheidung Rechtsmittel eingelegt hatte, hatte Zweifel hinsichtlich der Auslegung des Art. 9 der Richtlinie 89/104, vor allem in Bezug auf die dort genannten Begriffe „Duldung" und „Zeitraum". Es stellte sich auch Fragen in Bezug auf die Auslegung von Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie. Es wies darauf hin, Budvar habe vorgetragen, dass trotz des grundsätzlich absoluten Schutzes der älteren Marke im Fall einer identischen jüngeren Marke, die identische Waren kennzeichne, im Fall einer seit langem bestehenden gleichzeitigen redlichen Benutzung dieser Marken eine Ausnahme von diesem Schutz zugelassen werden könne. In einem solchen Fall nämlich beeinträchtige die Benutzung der identischen Marken durch jede der Parteien nicht die mit der Marke verbundene Herkunftsgarantie für die Waren, da diese Marken nicht nur auf die Waren eines einzigen Unternehmens hinwiesen, sondern auf die Waren des einen oder des anderen.

26 Unter diesen Umständen hat der Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Was bedeutet „geduldet" in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 89/104, insbesondere:

a) Ist „geduldet" ein gemeinschaftsrechtlicher Begriff, oder steht es dem nationalen Gericht frei, nationale Regeln zum Begriff der Duldung (wie z. B. Verspätung oder seit langem bestehende redliche gleichzeitige Benutzung) anzuwenden?

b) Falls „geduldet" ein gemeinschaftsrechtlicher Begriff ist, kann dann davon ausgegangen werden, dass der Inhaber einer Marke eine langdauernde und gefestigte redliche Benutzung einer identischen Marke durch einen Dritten geduldet hat, wenn er seit langem Kenntnis von der Benutzung hatte, diese jedoch nicht verhindern konnte?

c) Muss der Inhaber einer Marke diese eintragen lassen, bevor seine „Duldung" der Benutzung i) eines identischen oder ii) eines zum Verwechseln ähnlichen Kennzeichens durch einen Dritten beginnen kann?

2. Wann beginnt der Zeitraum von „fünf aufeinanderfolgenden Jahren", und kann er insbesondere beginnen (und, wenn ja, enden), bevor der Inhaber der älteren Marke die Eintragung seiner Marke tatsächlich erwirkt; und, wenn ja, welche Voraussetzungen müssen für das Ingangsetzen der Frist erfüllt sein?

3. Findet Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 89/104 in der Weise Anwendung, dass der Inhaber einer älteren Marke auch dann obsiegt, wenn über lange Zeit hinweg eine redliche gleichzeitige Benutzung zweier identischer Marken für identische Waren erfolgt ist, so dass die Herkunftsgarantie der älteren Marke nicht dahin zu verstehen ist, dass die Marke ausschließlich die Waren des Inhabers der älteren Marke bezeichnet, sondern dass sie seine Waren oder die Waren des anderen Benutzers bezeichnet?

Entscheidungsgründe

EuGH, Urteil vom 22.09.2011, C-483/09

 

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