EuGH: Markenschutz bei Verwendung von markenidentischen Schlüsselwörtern in AdWords, C-323/09- Interflora/M&S

1. Art. 5 Abs. 1 Buchst. a der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken und Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke sind dahin auszulegen, dass der Inhaber einer Marke es einem Mitbewerber verbieten kann, anhand eines mit dieser Marke identischen Schlüsselworts, das der Mitbewerber ohne Zustimmung des Markeninhabers im Rahmen eines Internetreferenzierungsdienstes ausgewählt hat, für Waren oder Dienstleistungen zu werben, die mit denen, für die die Marke eingetragen ist, identisch sind, wenn diese Benutzung eine der Funktionen der Marke beeinträchtigen kann. Eine solche Benutzung

  • beeinträchtigt die herkunftshinweisende Funktion der Marke, wenn aus der anhand des genannten Schlüsselworts gezeigten Werbung für einen normal informierten und angemessen aufmerksamen Internetnutzer nicht oder nur schwer zu erkennen ist, ob die beworbenen Waren oder Dienstleistungen von dem Inhaber der Marke bzw. einem mit ihm wirtschaftlich verbundenen Unternehmen oder vielmehr von einem Dritten stammen;
  • beeinträchtigt im Rahmen eines Referenzierungsdienstes mit den Merkmalen des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht die Werbefunktion der Marke; 
  • beeinträchtigt die Investitionsfunktion der Marke, wenn sie es dem Markeninhaber wesentlich erschwert, seine Marke zum Erwerb oder zur Wahrung eines Rufs einzusetzen, der geeignet ist, Verbraucher anzuziehen und zu binden.

2. Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 89/104 und Art. 9 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 40/94 sind dahin auszulegen, dass der Inhaber einer bekannten Marke es einem Mitbewerber verbieten kann, anhand eines dieser Marke entsprechenden Schlüsselworts, das dieser Mitbewerber ohne Zustimmung des Markeninhabers im Rahmen eines Internetreferenzierungsdienstes ausgewählt hat, zu werben, wenn dieser Mitbewerber damit die Unterscheidungskraft oder die Wertschätzung der Marke ohne rechtfertigenden Grund in unlauterer Weise ausnutzt (Trittbrettfahren) oder wenn in der genannten Werbung eine Beeinträchtigung dieser Unterscheidungskraft (Verwässerung) oder Wertschätzung (Verunglimpfung) liegt.

In einer Werbung anhand eines solchen Schlüsselworts liegt z. B. dann eine Beeinträchtigung der Unterscheidungskraft der bekannten Marke (Verwässerung), wenn sie zu einer Abschwächung dieser Marke zu einem Gattungsbegriff beiträgt.

Dagegen darf der Inhaber einer bekannten Marke es u. a. nicht verbieten, dass Mitbewerber anhand von dieser Marke entsprechenden Schlüsselwörtern eine Werbung erscheinen lassen, mit der, ohne eine bloße Nachahmung von Waren oder Dienstleistungen des Inhabers dieser Marke anzubieten, ohne eine Verwässerung oder Verunglimpfung herbeizuführen und ohne im Übrigen die Funktionen der bekannten Marke zu beeinträchtigen, eine Alternative zu den Waren oder Dienstleistungen ihres Inhabers vorgeschlagen wird.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

9 Führt ein Internetnutzer mit der Suchmaschine Google eine Suche anhand eines oder mehrerer Wörter durch, zeigt die Suchmaschine die Internetseiten, die diesen Wörtern am ehesten zu entsprechen scheinen, nach abnehmender Relevanz an. Dies sind die sogenannten „natürlichen" Suchergebnisse.

10 Daneben ermöglicht es der entgeltliche Referenzierungsdienst „AdWords" von Google jedem Wirtschaftsteilnehmer, mittels Auswahl eines oder mehrerer Schlüsselwörter im Fall der Übereinstimmung zwischen diesen und den Wörtern, die in der von einem Internetnutzer an die Suchmaschine gerichteten Suchanfrage enthalten sind, einen Werbelink zu seiner Internetseite erscheinen zu lassen. Dieser Werbelink erscheint in der Rubrik „sponsored links" (deutsche Google-Fassung: „Anzeigen"), die am rechten Bildschirmrand, rechts von den natürlichen Ergebnissen, oder im oberen Teil des Bildschirms, oberhalb dieser Ergebnisse, angezeigt wird.

11 Dem genannten Werbelink wird eine kurze Werbebotschaft beigefügt. Dieser Link und diese Botschaft bilden zusammen die Anzeige, die in der oben genannten Rubrik erscheint.

12 Für den Referenzierungsdienst hat der Werbende pro Klick auf den Werbelink eine Vergütung zu zahlen. Diese Vergütung bestimmt sich u. a. nach dem „maximalen Preis-pro-Klick", zu dessen Zahlung sich der Werbende bei Abschluss des Vertrags mit Google über den Referenzierungsdienst bereit erklärt hat, und nach der Zahl der Klicks der Internetnutzer auf diesen Link.

13 Mehrere Werbende können dasselbe Schlüsselwort auswählen. In welcher Reihenfolge ihre Werbelinks gezeigt werden, hängt dann insbesondere ab vom jeweiligen „maximalen Preis-pro-Klick", von der Zahl der Klicks, die diese Links erhalten haben, und von der Qualität der Anzeige, wie Google sie bewertet. Der Werbende kann die Position seiner Anzeige in der Reihenfolge jederzeit verbessern, indem er den maximalen Preis-pro-Klick erhöht oder versucht, die Qualität seiner Anzeige zu steigern.

Die Benutzung von Schlüsselwörtern im Ausgangsrechtsstreit

14 Die Interflora Inc., eine Gesellschaft mit Sitz im Bundesstaat Michigan (Vereinigte Staaten), betreibt ein weltweites Blumenliefernetz. Interflora British Unit ist Lizenznehmerin von Interflora Inc.

15 Das Netz von Interflora Inc. und Interflora British Unit (zusammen im Folgenden: Interflora) besteht aus Floristen, bei denen persönlich oder telefonisch Bestellungen aufgegeben werden können. Außerdem hat Interflora Websites, auf denen Bestellungen über das Internet aufgegeben werden können, die dann von dem Mitglied des Netzes, das der Adresse, an die die Blumen geliefert werden sollen, am nächsten ist, ausgeführt werden. Die Adresse der Hauptwebsite ist www.interflora.com. Diese Seite führt zu länderspezifischen Websites wie www.interflora.co.uk.

16 INTERFLORA ist eine nationale Marke im Vereinigten Königreich und auch eine Gemeinschaftsmarke. Es ist unstreitig, dass diese Marken im Bereich der Blumenlieferdienste im Vereinigten Königreich und in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union einen hohen Bekanntheitsgrad haben.

17 M & S, eine Gesellschaft englischen Rechts, gehört zu den wichtigsten Einzelhandelsunternehmen im Vereinigten Königreich. Sie vertreibt ein breites Warensortiment und erbringt Dienstleistungen über ihr Filialnetz und über ihre Internetseite www.marksandspencer.com. Zu ihren Tätigkeiten gehören auch der Verkauf und die Lieferung von Blumen. Diese Geschäftstätigkeit erfolgt im Wettbewerb mit derjenigen von Interflora. Zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens ist unstreitig, dass M & S nicht Mitglied des Interflora-Netzes ist.

18 Im Zusammenhang mit dem „AdWords"-Referenzierungsdienst wählte M & S das Wort „Interflora" und Varianten dieses Wortes mit geringfügigen Abweichungen sowie Ausdrücke, die das Wort „Interflora" enthalten (wie „Interflora Flowers", „Interflora Delivery", „Interflora.com", „Interflora co uk"), als Schlüsselwörter. Folglich erschien, wenn Internetnutzer das Wort „Interflora", eine jener Varianten oder einen der Ausdrücke als Suchbegriff in die Suchmaschine Google eingaben, eine Anzeige von M & S in der Rubrik „Anzeigen".

19 Diese Anzeige hatte u. a. folgendes Erscheinungsbild:

„M & S Flowers Online

www.marksandspencer.com/flowers

Gorgeous fresh flowers & plants

Order by 5 pm for next day delivery"

(„M & S Flowers Online

www.marksandspencer.com/flowers

Prächtige frische Blumen und Pflanzen

Bei Bestellung vor 17 Uhr Lieferung am nächsten Tag").

20 Angesichts dieses Sachverhalts erhob Interflora beim High Court of Justice (England & Wales), Chancery Division, gegen M & S Klage wegen Verletzung ihrer Markenrechte. Dieses Gericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof zehn Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Auf ein Ersuchen des Gerichtshofs um Klarstellung hat das vorlegende Gericht mit Entscheidung vom 29. April 2010, bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen am 9. Juni 2010, die Fragen 5 bis 10 zurückgezogen und lediglich folgende vier Fragen aufrechterhalten:

1. Wenn ein Unternehmen, das mit dem Inhaber einer eingetragenen Marke im Wettbewerb steht und das über seine Website Waren und Dienstleistungen anbietet, die mit den von der Marke erfassten identisch sind,

i) ein mit der Marke identisches Zeichen als ein Schlüsselwort für einen vom Betreiber einer Suchmaschine angebotenen Anzeigendienst auswählt,

ii) das Zeichen als Schlüsselwort benennt,

iii) eine Verbindung zwischen dem Zeichen und der URL seiner Website herstellt,

iv) den Preis pro Klick festsetzt, den es für das Schlüsselwort zahlen will,

v) die Zeiten für das Erscheinen der Anzeige festsetzt und

vi) das Zeichen im geschäftlichen Schriftverkehr bei der Rechnungsstellung und Entgegennahme von Entgelten bzw. bei der Führung seiner Konten beim Betreiber der Suchmaschine benutzt, die Anzeige selbst aber weder das Zeichen noch ein ihm ähnliches Zeichen enthält,

stellen dann einzelne dieser Handlungen oder diese Handlungen in ihrer Gesamtheit eine „Benutzung" des Zeichens durch das mit dem Markeninhaber im Wettbewerb stehende Unternehmen im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 89/104 und Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 40/94 dar?

2. Erfolgt eine solche Benutzung gegebenenfalls im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 89/104 und Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 40/94 „für" Waren oder Dienstleistungen, die mit denjenigen identisch sind, für die die Marke eingetragen ist?

3. Fällt eine solche Benutzung gegebenenfalls in den Anwendungsbereich

a) von Art. 5 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 89/104 und Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 40/94 und/oder

b) von Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 89/104 und Art. 9 Abs. l Buchst. c der Verordnung Nr. 40/94?

4. Spielt es für die Beantwortung der Frage 3 eine Rolle,

a) ob das Erscheinen der Anzeige des mit dem Markeninhaber im Wettbewerb stehenden Unternehmens infolge der Eingabe des fraglichen Zeichens durch einen Nutzer geeignet ist, Teile des Publikums zu der Annahme zu verleiten, dass das mit dem Markeninhaber im Wettbewerb stehende Unternehmen dem Vertriebsnetz des Markeninhabers angehört, obwohl dies nicht den Tatsachen entspricht, oder

b) ob der Betreiber der Suchmaschine dem Markeninhaber in dem betreffenden Mitgliedstaat der Gemeinschaft nicht erlaubt, Dritten die Auswahl der mit seiner Marke identischen Zeichen als Schlüsselwörter zu untersagen?

Entscheidungsgründe

EuGH, Urteil vom 22.09.2011, C-323/09 - Interflora/M&S

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