BVerfG: Verfassungswidrige Vergütungsfreiheit bei Kirchenmusik, 1 BvR 352/71 - Kirchenmusik

1. Es ist mit dem Grundgesetz vereinbar, daß die öffentliche Wiedergabe eines geschützten Werkes bei einem Gottesdienst, einer kirchlichen Feier oder einer anderen Veranstaltung der Kirchen oder Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts ohne Erlaubnis des Urhebers zulässig ist (§ 52 Abs. Nr. 2 UrhG).

2. Es widerspricht jedoch der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG. daß der Urheber sein Werk für diese Veranstaltungen regelmäßig vergütungsfrei zur Verfügung stellen muß (§ 52 Abs. 1 Nr. 2 2. Halbsatz UrhG).

Tatbestand

1 Gegenstand der Verfassungsbeschwerden ist die Frage, ob § 52 Abs. 1des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz) vom 9. September 1965 (BGBl. I. 1273) mit dem Grundgesetz in Einklang steht.

2 I. 1. Nach § 15 Abs. 2 des Urheberrechtsgesetzes steht dem Urheber das ausschließliche Recht zu, sein Werk in unkörperlicher Form öffentlich wiederzugeben (Recht der öffentlichen Wiedergabe). Dieses Recht umfaßt unter anderem das Recht des Vortrags, das Aufführungs- und Vorführungsrecht sowie das Senderecht, das Recht der Wiedergabe dureh Bild- und Tonträger und das Recht der Wiedergabe von Funksendungen nach Maßgabe der §§ 19-22. Demgegenüber erklärt § 52 die öffentliche Wiedergabe eines erschienenen Werkes unter den dort genannten Voraussetzungen für zulässig. Die Vorschrift lautet:

3 (1) Zulässig ist die öffentliche Wiedergabe eines erschienenen Werkes,

  1. wenn die Wiedergabe keinem Erwerbszweck des Veranstalters dient, die Teilnehmer ohne Entgelt zugelassen werden und im Falle des Vortrages oder der Aufführung des Werkes den ausübenden Künstlern (§ 73) keine besondere Vergütung gezahlt wird; jedoch hat, wenn die Veranstaltung dem Erwerbszweck eines Dritten dient, dieser dem Urheber für die Wiedergabe eine angemessene Vergütung zu zahlen;
  2. wenn die Wiedergabe bei einem Gottesdienst, einer kirchlichen Feier oder einer anderen Veranstaltung der Kirchen oder Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts stattfindet; jedoch hat der Veranstalter dem Urheber für die Wiedergabe eine angemessene Vergütung zu zahlcn, es sei denn, daß die in Nummer 1 aufgeführten Voraussetzungen vorliegen.

(2) Öffentliche bühnenmäßige Aufführungen und Funksendungen eines Werkes sowie öffentliche Vorführungen eines Filmwerkes sind stets nur mit Einwilligung des  Berechtigten zulässig. 

4 § 52 knüpft an § 27 des Gesetzes betreffend das Urheberrecht an Werken der Literatur und der Tonkunst vom 19. Juni 1901 - LUG - (RGBl, 227) an. Hierbei sollte es bei der Reform des Urheberrechts im wesentlichen bleiben. Der Gesetzgeber hielt es jedoch für geboten, einerseits die in § 27 LUG zugelassenen Ausnahmen wesentlich einzuschränken und andererseits zur sachgemäßen Wahrung der Interessen der Allgemeinheit gegenüber dem bisherigen Recht einige Erweiterungen vorzunehmen. Insbesondere sollte in § 52 Abs. 1 Nr. 2 ein neuer Ausnahmetatbestand zugunsten der kirchlichen Veranstaltungen eingeführt werden.

5 2. In der Amtlichen Begründung des Entwurfs zum Urheberrechtsgesetz (BT-Drucks, IV/270, 701 zu § 53 = § 52des Gesetzes) wird der Ausschluß des Zustimmungsrechts des Urhebers für die Veranstaltung nach Maßgabe des § 52 Abs. 1 mit der Erwägung gerechtfertigt, das Urheberrecht sei ein sozial gebundenes Recht, das gewissen Schranken im Interesse der Gemeinschaft unterliege. In zahlreichen Fällen, in denen das ausschließliche Recht des Urhebers mit Rücksicht auf überwiegende Interessen der Allgemeinheit seine Grenzen finden müsse, sei dem Urheber ein Vergütungsanspruch für die Nutzung seines Werkes gewährt: denn oft widerstreite den allgemeinen Interessen ein Verbotscharakter der urheberrechtlichen Befugnisse, nicht dagegen das wirtschaftliche Interesse des Urhebers, aus der Verwertung seines Werkes angemessenen Nutzen zu ziehen.

6 Die generelle Freistellung von der Zustimmung des Urhebers für die öffentliche Wiedergabe bei Veranstaltungen der Kirchen und sonstigen Religionsgesellschaften sei gerechtfertigt, weil dem Urheber ein Vergütungsanspruch gegen die Kirchen gewährt werde, und zwar auch dann, wenn an sich die Voraussetzungen des Abs. 1 Nr. 1 für eine sowohl erlaubnis- als auch vergütungsfreie Wiedergabe gegeben wären. Dieser umfassende Vergütungsanspruch (wie er im Entwurf im Gegensatz zur späteren gesetzlichen Regelung vorgesehen war) entspreche einer Anregung der Kirchen und beruhe auf der Erwägung, daß für Werke der Kirchenmusik eine Verwertung außerhalb kirchlicher Veranstaltungen kaum in Betracht komme, die Urheber dieser Werke also ohne den Vergütungsanspruch keine ausreichenden Einnahmen aus ihren Werken erhalten würden. 

7 Der Rechtsausschuß des Bundestags sprach sich gegen eine generelle Vergütungspflicht für kirchliche Veranstaltungen aus, da es nach seiner Ansicht den Gleichheitsgrundsatz verletze, "ausgerechnet die Kirchen auch in den Fällen des Abs. 1 Nr. 1, in denen jeder andere von der Vergütungspflicht frei ist, zur Zahlung einer Vergütung zu verpflichten". Auch die Kirchen hätten dieser Regelung inzwischen widersprochen. Er schlug vor, § 53 in der Fassung des Regierungsentwurfs mit der Maßgabe zuzustimmen, daß eine Vergütungspflicht für kirchliche Veranstaltungen nur in den Fällen bestehe, in denen die Voraussetzungen des Abs. 1 Nr. 1 nicht vorliegen (vgl. Schriftl. Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks, IV/3401; Bericht des Abg, Dr. Reischl) zu BT-Drucks. IV/3401, 7/8 zu § 53).

8 Bei der abschließenden Beratung des Gesetzentwurfs im Bundestag beantragte der Abgeordnete Nellen entsprechend einer von seiten der Urheber während der Reformarbeiten wiederholt erhobenen Forderung, § 53 ersatzlos zu streichen. Zur Begründung wies er vor allem auf die schweren finanziellen Nachteile für die Komponisten kirchlicher Musik hin. Mit Rücksicht auf diese hätten die beiden großen Kirchen in Deutschland schon vor 10 Jahren freiwillig auf jede Ausnahme zugunsten kirchlicher Musikaufführungen verzichtet und mit der GEMA eine Pauschalabgeltung der Rechte der Kirchenkomponisten vereinbart (StenBer, über die 187, Sitzung des Deutschen Bundestags am 25. Mai 1965, S. 9416 D 9418 A [9417 C] ).

9 Der Abgeordnete Dr. Reischl sprach sich als Berichterstatter des Rechtsausschusses gegen den Antrag aus, wobei er erklärte: Es sei zwar durchaus zu rechtfertigen, daß alle Beteiligten, und zwar auch der Staat zum Beispiel bei Schulfeiern, für die öffentliche Wiedergabe geschützter Werke eine Vergütung zu zahlen hätten. Die Weiterentwicklung des Urheberrechts müsse zu einer solchen, nicht nur die Kirchen erfassenden allgemeinen Tantiemepflicht auch bei kostenlosen öffentlichen Veranstaltungen führen. Angesichts der zahllosen Eingaben während der Beratungen, in denen eine Erweiterung der Bestimmung gewünscht worden sei, habe man dies jedoch derzeit für nicht durchsetzbar gehalten (ebenda S. 9418/9419 A).

10 Nach der Begründung des Regierungsentwurfs beruht der Ausschluß eines Vergütungsanspruchs in § 52 Abs. 1 Nr. 1 auf der Erwägung, daß dem Urheber zugemutet werden könne, sein Werk für eine öffentliche Wiedergabe unentgeltlich zur Verfügung zu stellen, wenn alle anderen an der Veranstaltung Beteiligten ihre Leistung ebenfalls ohne Entgelt beitrügen. Durch die Vorschrift solle erreicht werden, daß das öffentliche Singen von Liedern durch eine Wandergruppe, öffentliche Schüleraufführungen und ihnen vergleichbare Veranstaltungen. bei denen kein Eintrittsgeld gefordert und kein Erwerbszweck verfolgt werde, frei zulässig bleiben solle. "Eine Wandergruppe muß ein Lied singen dürfen, ohne sich einer Vergütungspflicht auszusetzen," Diene die Veranstaltung dem Erwerbszweck eines Dritten, erscheine es billig, daß dieser dem Urheber eine angemessene Vergütung bezahle.

11 In der vom Rechtsausschuß des Bundestags vorgeschlagenen Fassung ist § 52 in Kraft getreten.

Entscheidungsgründe

BVerfG, Beschluss vom 25.10.1978, 1 BvR 352/71 - Kirchenmusik, GRUR 1980,44

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