1. Das Urheberrecht ist als Nutzungsrecht "Eigentum" im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG.
2. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gebietet die grundsätzliche Zuordnung des wirtschaftlichen Wertes eines geschützten Werkes an den Urheber. Damit ist aber nicht jede nur denkbare Verwertungsmöglichkeit verfassungsrechtlich gesichert. Es ist Sache des Gesetzgebers, im Rahmen der inhaltlichen Ausprägung des Urheberrechts sachgerechte Maßstäbe festzulegen, die eine der Natur und sozialen Bedeutung des Urheberrechts entsprechende Nutzung und angemessene Verwertung sicherstellen (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG).
3. Das Interesse der Allgemeinheit an einem ungehinderten Zugang zu den Kulturgütern rechtfertigt es, daß geschützte Werke nach ihrem Erscheinen ohne Zustimmung des Urhebers in Sammlungen für den Kirchen-, Schul- und Unterrichtsgebrauch aufgenommen werden dürfen, nicht aber, daß der Urheber sein Werk hierfür vergütungsfrei zur Verfügung stellen muß (§ 46 UrhG).
Tatbestand
1 Die Verfassungsbeschwerden richten sich gegen den am 1, Januar 1966 in Kraft getretenen § 46des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz) vom 9. September 1965 (BGBl. I, S. 1273) - UrhG -.
2 I. Nach § 15 Abs. 1 UrhG steht dem Urheber das ausschließliche Recht zu, sein Werk in körperlicher Form zu verwerten. Dieses Verwertungsrecht umfaßt unter anderem das Vervielfältigungs- und das Verbreitungsrecht nach Maßgabe der §§ 16, 17 UrhG. Demgegenüber erklärt § 46 UrhG eine solche Verwertung durch Dritte bei der Herstellung bestimmter Sammlungen für zulässig.
3 Die Vorschrift lautet:
(1) Zulässig ist die Vervielfältigung und Verbreitung, wenn Teile von Werken, Sprachwerke oder Werke der Musik von geringem Umfang, einzelne Werke der bildenden Künste oder einzelne Lichtbildwerke nach dem Erscheinen in eine Sammlung aufgenommen werden, die Werke einer größeren Anzahl von Urhebern vereinigt und nach ihrer Beschaffenheit nur für den Kirchen-, Schul- oder Unterrichtsgebrauch bestimmt ist. Auf der Titelseite oder an einer entsprechenden Stelle der Sammlung ist deutlich anzugeben, wozu sie bestimmt ist.
(2) Absatz 1 gilt für Werke der Musik, die in eine für den Musikunterricht bestimmte Sammlung aufgenommen werden, nur, wenn es sich um eine Sammlung für den Musikunterricht in Schulen mit Ausnahme der Musikschulen handelt.
(3) Mit der Vervielfältigung darf erst begonnen werden, wenn die Absicht, von der Berechtigung nach Absatz 1 Gebrauch zu machen, dem Urheber oder, wenn sein Wohnort oder Aufenthaltsort unbekannt ist, dem Inhaber des ausschließlichen Nutzungsrechts durch eingeschriebenen Brief mitgeteilt worden ist und seit Absendung des Briefes zwei Wochen verstrichen sind. Ist auch der Wohnort oder Aufenthaltsort des Inhabers des ausschließlichen Nutzungsrechts unbekannt, so kann die Mitteilung durch Veröffentlichung im Bundesanzeiger bewirkt werden.
(4) Der Urheber kann die Vervielfältigung und Verbreitung verbieten, wenn das Werk seiner Überzeugung nicht mehr entspricht, ihm deshalb die Verwertung des Werkes nicht mehr zugemutet werden kann und er ein etwa bestehendes Nutzungsrecht aus diesem Grunde zurückgerufen hat (§ 42). Die Bestimmungen in § 136 Abs. 1 und 2 sind entsprechend anzuwenden.
4 § 46 UrhG entspricht im Grundsatz dem bisherigen Recht (vgl. §§ 19 Nr. 4, 21 Nr. 3, 26des Gesetzes betreffend das Urheberrecht an Werken der Literatur und der Tonkunst vom 19. April 1901 [RGBl.. S. 227] und § 19des Gesetzes betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie vom 9. Januar 1907 [RGBl., S. 7] ). Hierbei sollte es bei der Reform des Urheberrechts im wesentlichen bleiben. Der Regierungsentwurf zum Urheberrechtsgesetz vom 23. März 1962 betonte, es bestehe "nach wie vor ein öffentliches Interesse daran"..., "daß solche für die sittliche und geistige Heranbildung der Jugend unentbehrlichen Hilfsmittel ohne weiteres zur Verfügung" stünden. Ihre Herausgabe dürfe nicht von der Zustimmung der Urheber oder der Verleger abhängig sein (vgl. Regierungsentwurf eines Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte [Urheberrechtsgesetz], BT-Drucks. IV/270, S. 64 zu § 46). Besondere Bedeutung kam aber der Frage zu, ob dem Urheber abweichend vom bisherigen Recht - ein Vergütungsanspruch zu gewähren sei.
5 Das wurde in § 46 Abs. 4 des Regierungsentwurfs bejaht. Dieser hielt sich damit in der Linie der nach dem Zweiten Weltkrieg veröffentlichten Entwürfe.
6 Der Bundesrat sprach sich in der Stellungnahme zu dem Regierungsentwurf gegen die vorgeschlagene Regelung aus: Die Vergütungspflicht führe zu einer unerwünschten Verteuerung der Schulbücher. Die Vermögensinteressen der Urheber sollten gegenüber den Interessen der Allgemeinheit an der Volksbildung zurücktreten. Kein Urheber schaffe ganz allein aus sich heraus, sondern baue auf dem geistigen Gesamtbesitz des Volkes auf. Bei der Volksbildung solle der Urheber als Dank für das überkommene Kulturgut mit einer unentgeltlichen Weitergabe der von ihm geschaffenen Werke an die folgenden Generationen einverstanden sein (BT-Drucks. IV/270, S. 176, Nr. 6 zu § 46 Abs. 4). Dem trat die Bundesregierung entgegen: Dem Interesse der Allgemeinheit an einer Erleichterung des Schulunterrichts werde dadurch Rechnung getragen, daß der Urheber die Aufnahme seines Werkes in Sammlungen für den Schulgebrauch nicht verbieten könne. Es widerspräche aber der Grundlinie des Entwurfs, dem Urheber einen Vergütungsanspruch zu versagen. Finanzielle Opfer zugunsten der Allgemeinheit sollten dem Urheber, der in der Regel auf die Einnahmen aus seinen Werken angewiesen sei, nicht zugemutet werden (BTDrucks. IV/270, S. 179 zu Nr. 6).
7 Der Bundestag beschloß - dem Vorschlag seines Rechtsausschusses folgend -, dem Urheber einen Vergütungsanspruch zuzubilligen. Hiergegen sprach sich der Bundesrat gemäß einem Antrag des Ausschusses für Kulturfragen - aber im Gegensatz zu der Empfehlung seines Rechtsausschusses - aus und rief den Vermittlungsausschuß an. Dieser entsprach dem Begehren des Bundesrats und wies zur Begründung auf folgendes hin: Es liege im eigenen Interesse der Urheber und ihrer Werke, wenn diese in Schulbüchern eine weite Verbreitung erführen. Die Aufnahme eines Werkes in ein Schulbuch sei eine Art "Etikettierung als anerkanntes Kulturgut". Eine Vergütungspflicht würde im übrigen das zeitgenössische Schrifttum benachteiligen, weil sie die Verleger auf die vergütungsfreien, älteren Werke abdränge (vgl. StenBer. über die 196. Sitzung des Bundestages vom 2. Juli 1965, 4. Wp., S. 10003 D/10004 A).
8 Der Bundestag strich daraufhin den ursprünglich von ihm beschlossenen § 46 Abs. 4; der Bundesrat stimmte der Änderung zu.
Entscheidungsgründe
BVerfG, Beschluss vom 07.07.1971, 1 BvR 765/66 - Kirchen- und Schulgebrauch, GRUR 1972, 481