Amtliche Leitsätze
1. Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2009/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen ist dahin auszulegen, dass das Recht auf die Verbreitung der Kopie eines Computerprogramms erschöpft ist, wenn der Inhaber des Urheberrechts, der dem möglicherweise auch gebührenfreien Herunterladen dieser Kopie aus dem Internet auf einen Datenträger zugestimmt hat, gegen Zahlung eines Entgelts, das es ihm ermöglichen soll, eine dem wirtschaftlichen Wert der Kopie des ihm gehörenden Werkes entsprechende Vergütung zu erzielen, auch ein Recht, diese Kopie ohne zeitliche Begrenzung zu nutzen, eingeräumt hat.
2. Die Art. 4 Abs. 2 und 5 Abs. 1 der Richtlinie 2009/24 sind dahin auszulegen, dass sich der zweite und jeder weitere Erwerber einer Nutzungslizenz auf die Erschöpfung des Verbreitungsrechts nach Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie berufen können und somit im Sinne von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie als rechtmäßige Erwerber einer Programmkopie anzusehen sind, die vom Vervielfältigungsrecht nach dieser Vorschrift Gebrauch machen dürfen, wenn der Weiterverkauf dieser Lizenz mit dem Weiterverkauf einer von der Internetseite des Urheberrechtsinhabers heruntergeladenen Programmkopie verbunden ist und die Lizenz dem Ersterwerber ursprünglich vom Rechtsinhaber ohne zeitliche Begrenzung und gegen Zahlung eines Entgelts überlassen wurde, das es diesem ermöglichen soll, eine dem wirtschaftlichen Wert der Kopie seines Werkes entsprechende Vergütung zu erzielen.
Tatbestand
20 Oracle entwickelt und vertreibt Computersoftware. Sie ist Inhaberin der ausschließlichen urheberrechtlichen Nutzungsrechte an diesen Programmen. Sie ist außerdem Inhaberin der deutschen Wortmarken und Gemeinschaftswortmarken Oracle, die u. a. für Computersoftware eingetragen sind.
21 Oracle vertreibt die im Ausgangsverfahren fragliche Software, d. h. Datenbanksoftware, in 85 % der Fälle per Download über das Internet. Der Kunde lädt eine Kopie der Software unmittelbar über die Internetseite von Oracle auf seinen Computer herunter. Bei den Programmen handelt es sich um sogenannte „Client-Server-Software". Das durch einen Lizenzvertrag gewährte Nutzungsrecht an einem solchen Programm umfasst die Befugnis, die Software dauerhaft auf einem Server zu speichern und einer bestimmten Anzahl von Nutzern dadurch Zugriff zu gewähren, dass sie in den Arbeitsspeicher ihrer Arbeitsplatzrechner geladen wird. Im Rahmen eines Software-Pflegevertrags können aktualisierte Versionen der Software („updates") und Programme, die der Fehlerbehebung dienen („patches"), über die Internetseite von Oracle heruntergeladen werden. Auf Wunsch des Kunden werden die Programme auch auf CD-ROM oder DVD ausgeliefert.
22 Oracle bietet für die im Ausgangsverfahren fraglichen Computerprogramme Paketlizenzen für jeweils mindestens 25 Nutzer an. Benötigt ein Unternehmen eine Lizenz für 27 Nutzer, muss es also zwei Lizenzen kaufen.
23 Die Lizenzverträge von Oracle für die im Ausgangsverfahren fraglichen Computerprogramme enthalten unter „Rechtseinräumung" folgende Bestimmung:
„Mit der Zahlung für Services haben Sie ausschließlich für Ihre internen Geschäftszwecke ein unbefristetes, nicht ausschließliches, nicht abtretbares und gebührenfreies Nutzungsrecht für alles, was Oracle entwickelt und Ihnen auf der Grundlage dieses Vertrags überlässt."
24 UsedSoft handelt mit gebrauchten Softwarelizenzen, insbesondere mit den Nutzungslizenzen für die im Ausgangsverfahren fraglichen Computerprogramme von Oracle. UsedSoft erwirbt hierfür bei Kunden von Oracle solche Nutzungslizenzen oder Teile davon, wenn die ursprünglich erworbenen Lizenzen für eine den Bedarf des Ersterwerbers übersteigende Nutzerzahl gelten.
25 Im Oktober 2005 bewarb UsedSoft eine „Oracle Sonderaktion", bei der sie „bereits benutzte" Lizenzen für die im Ausgangsverfahren fraglichen Computerprogramme von Oracle anbot. Dabei wies sie darauf hin, dass alle Lizenzen in dem Sinne „aktuell" seien, als der vom ursprünglichen Lizenznehmer mit Oracle abgeschlossene Wartungsvertrag noch fortwirke und die Rechtmäßigkeit des ursprünglichen Verkaufs durch ein Notartestat bestätigt werde.
26 Die Kunden von UsedSoft, die noch nicht im Besitz des betreffenden Computerprogramms von Oracle sind, laden nach dem Erwerb einer solchen gebrauchten Lizenz eine Programmkopie unmittelbar von der Internetseite von Oracle herunter. Kunden, die bereits über das Computerprogramm verfügen und Lizenzen für zusätzliche Nutzer hinzukaufen, veranlasst UsedSoft, das Computerprogramm auf den Arbeitsplatzrechnern dieser Nutzer zu speichern.
27 Oracle erhob Klage beim Landgericht München I und beantragte, UsedSoft zu verurteilen, die in den Randnrn. 24 bis 26 des vorliegenden Urteils beschriebenen Praktiken zu unterlassen. Das Landgericht verurteilte UsedSoft antragsgemäß. Die von dieser eingelegte Berufung wurde zurückgewiesen. Daraufhin legte UsedSoft beim Bundesgerichtshof Revision ein.
28 Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts verletzt das Verhalten von UsedSoft und ihren Kunden Oracles ausschließliches Recht zur dauerhaften oder vorübergehenden Vervielfältigung von Computerprogrammen im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2009/24. Die Kunden von UsedSoft könnten sich nicht auf ein ihnen von Oracle wirksam übertragenes Recht zur Vervielfältigung der Computerprogramme stützen. Aus den Lizenzverträgen von Oracle gehe nämlich hervor, dass das Recht zur Nutzung der Programme „nicht abtretbar" sei. Daher seien die Kunden von Oracle nicht berechtigt, das Recht zur Vervielfältigung dieser Programme an Dritte weiterzuübertragen.
29 Für die Entscheidung des Rechtsstreits komme es darauf an, ob die Kunden von UsedSoft sich mit Erfolg auf § 69d Abs. 1 UrhG berufen könnten, der Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2009/24 in das deutsche Recht umsetze.
30 Insoweit stelle sich zunächst die Frage, ob derjenige, der, wie die Kunden von UsedSoft, nicht über ein vom Rechtsinhaber abgeleitetes Nutzungsrecht am Computerprogramm verfüge, sich aber auf eine Erschöpfung des Rechts zur Verbreitung einer Kopie des Computerprogramms berufe, im Sinne von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2009/24 „rechtmäßiger Erwerber" dieser Kopie sei. Dies sei, so das vorlegende Gericht, der Fall. Die durch den Eintritt der Erschöpfung der Verbreitungsrechte bewirkte Verkehrsfähigkeit des Vervielfältigungsstücks eines Computerprogramms wäre weitgehend sinnlos, wenn der Erwerber eines solchen Vervielfältigungsstücks nicht das Recht zur Vervielfältigung des Computerprogramms hätte. Die Nutzung eines Computerprogramms erfordere – anders als die Nutzung anderer urheberrechtlich geschützter Werke – nämlich regelmäßig dessen Vervielfältigung. Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2009/24 diene somit einer Absicherung der Erschöpfung des Verbreitungsrechts nach Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2009/24.
31 Weiter möchte das vorlegende Gericht wissen, ob in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens das Recht auf die Verbreitung der Kopie eines Computerprogramms im Sinne von § 69c Nr. 3 Satz 2 UrhG – mit dem Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2009/24 umgesetzt werde – erschöpft sei.
32 Auch andere Auslegungen seien denkbar. Nach einer ersten Ansicht könne Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2009/24 anwendbar sein, wenn der Rechtsinhaber es einem Kunden – nach Abschluss eines Lizenzvertrags – gestatte, dadurch ein Vervielfältigungsstück des Computerprogramms zu erstellen, dass er dieses von einer Internetseite herunterlade und auf einem Computer abspeichere. Die fragliche Bestimmung knüpfe die Rechtsfolge der Erschöpfung des Verbreitungsrechts an den Erstverkauf einer Programmkopie und setze nicht unbedingt das Inverkehrbringen eines materiellen Vervielfältigungsstücks des Computerprogramms voraus. Nach einer zweiten Ansicht könne Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2009/24 im Fall der Veräußerung eines Computerprogramms im Wege der Online-Übermittlung entsprechend anwendbar sein. Die Vertreter dieser Auffassung meinten, dass insoweit eine planwidrige Regelungslücke bestehe, weil der Richtliniengeber die Online-Übermittlung von Computerprogrammen weder geregelt noch bedacht habe. Nach einer dritten Ansicht sei Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2009/24 nicht anwendbar, da die Erschöpfung des Verbreitungsrechts nach dieser Bestimmung stets das Inverkehrbringen eines materiellen Vervielfältigungsstücks des Computerprogramms durch den Rechtsinhaber oder mit seiner Zustimmung voraussetze. Der Richtliniengeber habe bewusst davon abgesehen, die Regelung zur Erschöpfung des Verbreitungsrechts auf die Online-Übermittlung auszuweiten.
33 Schließlich möchte das vorlegende Gericht wissen, ob sich auch derjenige, der eine gebrauchte Lizenz erworben hat, für das Erstellen einer Programmkopie – wie im Ausgangsverfahren die Kunden von UsedSoft durch Herunterladen einer Kopie des Programms von Oracle von deren Internetseite auf einen Computer oder durch Heraufladen der Kopie in den Arbeitsspeicher weiterer Arbeitsplatzrechner – auf eine Erschöpfung des Rechts zur Verbreitung der vom Ersterwerber mit Zustimmung des Rechtsinhabers durch Herunterladen des Programms aus dem Internet angefertigten Kopie des Computerprogramms berufen kann, wenn der Ersterwerber seine Programmkopie gelöscht hat oder nicht mehr verwendet. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts kommt eine entsprechende Anwendung von Art. 5 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2009/24 nicht in Betracht. Die Erschöpfung des Verbreitungsrechts solle allein die Verkehrsfähigkeit einer vom Rechtsinhaber oder mit seiner Zustimmung veräußerten und auf einem bestimmten Datenträger verkörperten Programmkopie gewährleisten. Die Wirkung der Erschöpfung sollte daher nicht auf den online übermittelten unkörperlichen Datenbestand ausgedehnt werden.
34 Unter diesen Umständen hat der Bundesgerichtshof das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist derjenige, der sich auf eine Erschöpfung des Rechts zur Verbreitung der Kopie eines Computerprogramms berufen kann, „rechtmäßiger Erwerber" im Sinne von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2009/24?
2. Für den Fall, dass die erste Frage bejaht wird: Erschöpft sich das Recht zur Verbreitung der Kopie eines Computerprogramms nach Art. 4 Abs. 2 Halbsatz 1 der Richtlinie 2009/24, wenn der Erwerber die Kopie mit Zustimmung des Rechtsinhabers durch Herunterladen des Programms aus dem Internet auf einen Datenträger angefertigt hat?
3. Für den Fall, dass auch die zweite Frage bejaht wird: Kann sich auch derjenige, der eine „gebrauchte" Softwarelizenz erworben hat, für das Erstellen einer Programmkopie als „rechtmäßiger Erwerber" nach Art. 5 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 2 Halbsatz 1 der Richtlinie 2009/24 auf eine Erschöpfung des Rechts zur Verbreitung der vom Ersterwerber mit Zustimmung des Rechtsinhabers durch Herunterladen des Programms aus dem Internet auf einen Datenträger angefertigten Kopie des Computerprogramms berufen, wenn der Ersterwerber seine Programmkopie gelöscht hat oder nicht mehr verwendet?
Entscheidungsgründe
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