1. Eine grafische Benutzeroberfläche stellt keine Ausdrucksform eines Computerprogramms im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/250/EWG des Rates vom 14. Mai 1991 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen dar, und sie kann nicht den urheberrechtlichen Schutz für Computerprogramme nach dieser Richtlinie genießen. Eine solche Schnittstelle kann jedoch nach der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft urheberrechtlich als Werk geschützt sein, wenn sie eine eigene geistige Schöpfung ihres Urhebers darstellt.
2. Die Ausstrahlung einer grafischen Benutzeroberfläche im Fernsehen stellt keine öffentliche Wiedergabe eines urheberrechtlich geschützten Werkes im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 dar.
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Ausgangsverfahren und Vorlageverfahren
15 Am 9. April 2001 stellte die BSA beim Ministerstvo kultury einen Antrag auf Erlaubnis für die kollektive Verwaltung der vermögenswerten Urheberrechte an Computerprogrammen gemäß § 98 des Urheberrechtsgesetzes. Die BSA legte den Umfang dieser Rechte in einem Schreiben vom 12. Juni 2001 fest.
16 Dieser Antrag wurde ebenso abgelehnt wie der Widerspruch gegen diesen ablehnenden Bescheid. Die BSA erhob sodann gegen diese Bescheide Klage beim Vrchní soud v Praze.
17 Nach der Aufhebung der beiden ablehnenden Bescheide durch den Nejvyšší správní soud, an den der Rechtsstreit abgegeben worden war, erließ das Ministerstvo kultury am 14. April 2004 einen neuen Bescheid, mit dem es den Antrag der BSA erneut ablehnte. Die BSA legte daraufhin Verwaltungswiderspruch beim Ministerstvo kultury ein, das diesen ablehnenden Bescheid aufhob.
18 Am 27. Januar 2005 erließ das Ministerstvo kultury einen neuen Bescheid, mit dem es den Antrag der BSA abermals ablehnte, und zwar mit der Begründung, dass zum einen das Urheberrechtsgesetz nur den Objekt‑ und den Quellcode eines Computerprogramms schütze, jedoch nicht das Ergebnis der Anzeige des Programms auf dem Monitor des Computers, da die Benutzeroberfläche nur vom Schutz gegen unlauteren Wettbewerb erfasst werde. Zum anderen sei die kollektive Verwaltung der Computerprogramme zwar theoretisch möglich, doch komme eine zwangsweise kollektive Verwaltung nicht in Betracht, und eine freiwillige kollektive Verwaltung sei nicht zweckdienlich.
19 Die BSA legte gegen diesen Bescheid Widerspruch ein, den das Ministerstvo kultury mit Bescheid vom 6. Juni 2005 zurückwies. Daraufhin focht die BSA den letztgenannten Bescheid beim Mĕstský soud v Praze an. Mit ihrer Klage machte die BSA geltend, dass die Definition eines Computerprogramms in § 2 Abs. 2 des Urheberrechtsgesetzes auch die grafische Benutzeroberfläche erfasse. Ein Computerprogramm sei sowohl auf der Ebene des Objektcodes oder des Quellcodes wie auch auf der Ebene der Kommunikation (Kommunikationsschnittstelle) wahrnehmbar.
20 Nachdem das Mĕstský soud v Praze ihre Klage abgewiesen hatte, legte die BSA Kassationsbeschwerde beim Nejvyšší správní soud ein. Sie vertritt die Ansicht, ein Computerprogramm werde benutzt, wenn es auf den Benutzermonitoren angezeigt werde, und daher müsse eine solche Benutzung urheberrechtlich geschützt sein.
21 Das Nejvyšší správní soud hat im Hinblick auf die Auslegung der Bestimmungen der Richtlinien 91/250 und 2001/29 das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
- Ist Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/250 dahin gehend auszulegen, dass für die Zwecke des urheberrechtlichen Schutzes eines Computerprogramms als Werk im Sinne des Urheberrechts nach dieser Richtlinie unter „alle Ausdrucksformen von Computerprogrammen" auch die grafische Benutzeroberfläche eines Computerprogramms oder ein Teil davon fällt?
- Falls die erste Frage bejaht wird: Stellt Fernsehrundfunk, mit dem es der Öffentlichkeit ermöglicht wird, die grafische Benutzeroberfläche eines Computerprogramms oder einen Teil davon sinnlich wahrzunehmen, ohne aber das Programm aktiv steuern zu können, eine öffentliche Wiedergabe eines Werks im Sinne des Urheberrechts oder eines Teils davon im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 dar?
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EuGH, Urt. v. 22.12.2010- C-393/09- BSA/Kulturministerium