EuGH: Pflicht einer Urheberentschädigung für EU-Staaten mit Privatkopieausnahme, C-271/10- Stichting/Opus

1. Die Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, insbesondere ihr Art. 5 Abs. 2 Buchst. b und 5, ist dahin auszulegen, dass der Endnutzer, der für seinen privaten Gebrauch die Vervielfältigung eines geschützten Werks vornimmt, grundsätzlich als Schuldner des in Abs. 2 Buchst. b vorgesehenen angemessenen Ausgleichs zu betrachten ist. Den Mitgliedstaaten steht es jedoch frei, eine Vergütung für Privatkopien zulasten der Personen einzuführen, die dem Endnutzer Anlagen, Geräte und Medien zur Vervielfältigung zur Verfügung stellen, da diese Personen die Möglichkeit haben, den Betrag der Vergütung in den vom Endnutzer entrichteten Preis für diese Zurverfügungstellung einfließen zu lassen.

2. Die Richtlinie 2001/29, insbesondere ihr Art. 5 Abs. 2 Buchst. b und 5, ist dahin auszulegen, dass der Mitgliedstaat, der eine Vergütungsregelung für Privatkopien zulasten des Herstellers oder Importeurs von Vervielfältigungsmedien für geschützte Werke eingeführt hat und in dessen Hoheitsgebiet den Urhebern durch die Nutzung ihrer Werke durch dort ansässige Käufer zum privaten Gebrauch entstandene Schaden eintritt, zu gewährleisten hat, dass diese Urheber tatsächlich den gerechten Ausgleich erhalten, der zum Ersatz dieses Schadens bestimmt ist. In diesem Zusammenhang ist der Umstand, dass der gewerbliche Verkäufer von Anlagen, Geräten und Medien zur Vervielfältigung in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen ansässig ist, in dem die Käufer wohnen, ohne Einfluss auf diese Ergebnispflicht. Kann die Erhebung des gerechten Ausgleichs bei den Käufern nicht gewährleistet werden, ist es Sache des nationalen Gerichts, sein nationales Recht so auszulegen, dass es die Erhebung dieses Ausgleichs bei einem gewerblich handelnden Schuldner ermöglicht.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

8 Wie sich aus Art. 16a Abs. 1 des Urheberrechtsgesetzes ergibt, hat das Königreich der Niederlande die Ausnahme für Kopien zum privaten Gebrauch in sein Recht übernommen. Nach Art. 16c Abs. 2 ist die Entrichtung der Privatkopievergütung Sache des Herstellers oder Importeurs des Vervielfältigungsträgers.

9 Die Stichting ist die mit der Erhebung der Privatkopievergütung betraute niederländische Einrichtung.

10 Opus ist eine in Deutschland niedergelassene Gesellschaft, die über das Internet Rohlinge für Vervielfältigungsträger, also unbespielte Träger, vertreibt. Ihre Tätigkeit ist mittels niederländischsprachiger Websites, die auf die niederländischen Verbraucher abzielen, insbesondere auf die Niederlande ausgerichtet.

11 Der von Opus aufgesetzte Kaufvertrag sieht vor, dass eine von einem niederländischen Verbraucher aufgegebene Online-Bestellung in Deutschland bearbeitet wird und die Waren von Deutschland aus in die Niederlande für Rechnung und im Namen des Kunden durch ein Postbeförderungsunternehmen versandt werden, das allerdings tatsächlich von Opus beauftragt wird.

12 Opus zahlt für die an ihre Kunden in den Niederlanden gelieferten Datenträger weder dort noch in Deutschland eine Privatkopievergütung. Dem vorlegenden Gericht zufolge schließt zudem der Preis der auf diese Weise von Opus vertriebenen Vervielfältigungsträger die Privatkopievergütung nicht ein.

13 Die Stichting vertritt die Ansicht, Opus sei als „Importeur" im Sinne des Urheberrechtsgesetzes und infolgedessen als Schuldnerin der Privatkopievergütung zu betrachten, und erhob gegen dieses Unternehmen bei den niederländischen Gerichten Klage auf Zahlung dieser Vergütung.

14 Opus bestreitet unter Berufung auf die Bestimmungen des Kaufvertrags, als Importeur der von ihr vertriebenen Vervielfältigungsträger in den Niederlanden betrachtet werden zu können. Als Importeure seien vielmehr die niederländischen Käufer, d. h. die einzelnen Verbraucher, einzustufen.

15 Diesem Verteidigungsvorbringen von Opus folgend wiesen die niederländischen Gerichte die Zahlungsklage der Stichting im ersten Rechtszug ab und sodann das von dieser eingelegte Rechtsmittel zurück. Die Stichting legte beim vorlegenden Gericht Kassationsbeschwerde ein.

16 Das vorlegende Gericht hat Zweifel, ob die Entscheidungen dieser Gerichte im Einklang mit der Richtlinie 2001/29 stehen. Die Annahme, dass der Käufer, also der einzelne Verbraucher, Importeur und damit Schuldner der Privatkopievergütung sei, laufe darauf hinaus, einzuräumen, dass diese Vergütung faktisch nicht vereinnahmt werden könne, da der einzelne Käufer in der Praxis schwer zu ermitteln sei. Es wirft die Frage auf, ob der Begriff „Importeur" nicht weiter definiert werden müsse, als es seiner rein sprachlichen Bedeutung entspreche, wobei auch die für den gewerbsmäßig handelnden Verkäufer erkennbare endgültige Bestimmung der Datenträger berücksichtigt werden müsse.

17 Der Hoge Raad der Nederlanden hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Bietet die Richtlinie 2001/29 insbesondere in Art. 5 Abs. 2 Buchst. b und 5 Anknüpfungspunkte für die Beantwortung der Frage, wer im nationalen Recht als Schuldner des „gerechten Ausgleichs" im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Buchst. b anzusehen ist? Falls ja, welche?

2. Verpflichtet Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie im Fall eines Versandkaufs, bei dem der Käufer in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist als der Verkäufer, zu einer so weiten Auslegung des nationalen Rechts, dass ein gewerbsmäßig handelnder Schuldner den „gerechten Ausgleich" im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Buchst. b zumindest in einem der am Versandkauf beteiligten Mitgliedstaaten schuldet?

Entscheidungsgründe

EuGH, Urteil v. 16.06.2011, C-462/09 - Stichting-Opus

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