BVerfG: Falsche Zuschreibung von Mitgliedschaften, 1 BvR 1531/96 - Helnwein

1. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) schützt den Einzelnen auch gegenüber der fälschlichen Zuschreibung von Mitgliedschaften in Vereinigungen oder Gruppen, sofern diese Zuschreibung Bedeutung für die Persönlichkeit und deren Bild in der Öffentlichkeit hat.

2. Es ist mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht unvereinbar, daß dem von einer Tatsachenbehauptung nachteilig Betroffenen die Möglichkeit, die Unwahrheit der Behauptung im gerichtlichen Verfahren geltend zu machen, unter Berufung darauf abgeschnitten wird, der sich Äußernde habe im Prozeß für seine Behauptung Belegtatsachen beigebracht.

Tatbestand

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Abweisung einer zivilrechtlichen Klage auf Unterlassung rufschädigender Äußerungen.

I.

1. Der Beschwerdeführer, ein bekannter österreichischer Künstler, der in Deutschland lebt, beschäftigte sich seit 1972 mit den Schriften und Lehren von Scientology und besuchte auch Kurse, die diese Organisation anbot. Seit 1975 wurde er in verschiedenen Zeitschriften als Scientologe bezeichnet oder sonst mit Scientology in Verbindung gebracht:

1975 veröffentlichte die Zeitschrift "college", ein Blatt der Stuttgarter Scientology-Institution "Dianetic College e.V.", in ihrer Ausgabe Nr. 12 einen Artikel in Form eines Interviews mit dem Beschwerdeführer. Darin hieß es, er sei seit 1972 "in Scientology". 1989 berichtete die in den USA von der "Church of Scientology - Celebrity Centre International", herausgegebene Zeitschrift "Celebrity" in der Ausgabe 225 über den Beschwerdeführer. "Celebrity" druckte Fotos von ihm und beschrieb im ersten Teil des Artikels seinen Werdegang. Unter anderem wurde mitgeteilt, der Beschwerdeführer sei 1973 Scientologe geworden, er sei ein "OT® V" und besuche die "Academy Levels" im "Celebrity Centre" Düsseldorf.

"OT" ist die Abkürzung für "Operierender Thetan", nach dem Selbstverständnis von Scientology eine Person, die "über schrittweise Erlösungsstufen den Zustand völliger geistiger Freiheit erreicht hat", "sich im sozialen Bereich engagiert und sich aktiv an der Lösung gesellschaftlicher Probleme und Mißstände beteiligt". Die "Academy Levels" sind Kurse zur Auditorenausbildung. Das Wort "Auditor" bedeutet nach dem internen Sprachgebrauch von Scientology so viel wie Geistlicher.

Der zweite Teil des Artikels bestand aus Fragen von "Celebrity" und Antworten. Letztere erweckten, weil der gesamte Beitrag als Interview mit dem Beschwerdeführer angekündigt war und sein Vorname verwendet wurde, den Eindruck, es handele sich um authentische Äußerungen des Beschwerdeführers. Darin hieß es sinngemäß übersetzt unter anderem:

1973 hörte ich in Wien andere Künstler über Scientology sprechen. ... Ich und ein Künstlerfreund von mir besuchten den Communications Course in München. Nach nur viertägigem Studium änderte sich mein ganzes Leben. ... Alle Probleme, die ich vorher hatte, verschwanden... Ich meine, ein Künstler braucht Scientology, um zu überleben... Das Celebrity Centre Düsseldorf ist einfach das beste... Ich liebe es, dort zu sein....

Die vom "Dianetik Zentrum Wien", einer Scientology-Institution, 1991 herausgegebene Broschüre "Dianetik" warb mit dem Beschwerdeführer. Bis 1991 führte Scientology den Beschwerdeführer und seine Frau in der Veröffentlichung "impact" als "patrons", also Großspender. 1991 berichtete der "Spiegel" in Heft 14 über Sekten; der Artikel enthielt ein Foto des Beschwerdeführers mit der Unterschrift "Scientologe H.". Auch die Zeitschrift "Cash Flow" bezeichnete 1991 den Beschwerdeführer als (österreichischen) Scientologen.

In der Ausgabe 262 aus dem Jahr 1993 stellte "Celebrity" zu Werbezwecken in eigener Sache unter der Überschrift "Why should you train?" fünf Prominente und deren "Antworten" auf diese Frage vor. Neben einer Abbildung des Beschwerdeführers stand "H. Class IV Auditor, world-renowned fine artist". In der dazugehörenden, in Anführungsstriche gesetzten "Antwort" hieß es sinngemäß übersetzt unter anderem:

Nach meiner Ansicht ist niemand auf dieser Welt stärker gefährdet, als es ein Künstler ist... Wenn du große Wirkung mit Musik oder Malerei erzielst, hast du Ärger, denn es gibt bestimmte Leute auf dieser Welt, die das nicht wollen und alles dafür tun werden, es zu unterdrücken... Ich glaube, Künstler brauchen Scientology, um zu überleben. Das Scientology Training ist das beste...

Am Schluß des Artikels wurde der Leser aufgefordert, sich für den nächsten Ausbildungsschritt anzumelden.

Eine in Deutschland von der "Scientology Kirche Hamburg" 1990 herausgegebene und noch 1995 verteilte Broschüre stellte unter der Überschrift "Was sagen Künstler über Scientology?" vier bekannte Persönlichkeiten vor, darunter den Beschwerdeführer. Neben seinem Foto war im Stil eines wörtlichen Zitats unter anderem zu lesen:

Scientology ist der größte Durchbruch in der Geschichte der Erforschung menschlichen Denkens und Verhaltens... Scientology ist imstande, die Welt zu verändern. Es könnte eine Welt ohne Geisteskrankheit, ohne Kriminalität und ohne Krieg sein.

2. 1994 sollte aufgrund einer privaten Initiative das ehemalige KZ-Gelände "Neue Bremm" in Saarbrücken künstlerisch gestaltet werden. Der Beschwerdeführer kam für den Auftrag in Betracht und sollte ein Modell entwerfen. Die Beklagten des Ausgangsverfahrens, zwei Vereine, die sich die Bekämpfung von Sekten zur Aufgabe gemacht haben, wollten eine Beteiligung des Beschwerdeführers verhindern und wandten sich zu diesem Zweck in einem Offenen Brief an Medien und Politiker. Darin schrieben sie:

... Daß aber nun der österreichische Künstler H., der weltweit für die kriminelle, totalitär organisierte Scientology Church Werbung betreibt, ein Modell für die Neugestaltung des Geländes entwerfen soll..., ist ein grenzenloser Skandal.

Durch Medien und Politik wird somit ein Werbeträger einer kriminellen Vereinigung hofiert, der in unzähligen Veröffentlichungen für S. wirbt und sich selbst als 'Geistlicher' bezeichnet (Scientologyjargon: 'Auditor IV' d.h. er gehört zu der Gruppe der absoluten Laien, die in einem zwangshypnotischen Verfahren unter Zuhilfenahme eines Lügendetektors die Psyche von Menschen zerstören, um sie unter Bewußtseinskontrolle zu stellen).

Der Erlös einer limitierten Lithographie, die u.a. in der Saarbrücker 'Galerie 48', Julius Kieferstr. 105, erhältlich ist, fließt nachweislich dem scientologischen Geheimdienst (OSA München) zu...

Die mögliche Einflußnahme der kriminellen, menschenverachtenden Vereinigung 'Scientology' auf die öffentliche Kultur auch im Saarland steht hier auf dem Prüfstand.

In Erwartung Ihrer baldigen Maßnahmen...

Der Beschwerdeführer erhielt den Auftrag nicht.

3. a) Auf die vom Beschwerdeführer nach einem erfolgreichen einstweiligen Verfügungsverfahren erhobene Klage verurteilte das Landgericht die Beklagten des Ausgangsverfahrens antragsgemäß, es zu unterlassen, folgende Behauptungen wörtlich oder sinngemäß aufzustellen oder zu verbreiten:

  1. Der österreichische Künstler H. bezeichnet sich selbst als Geistlicher.
  2. Der österreichische Künstler ist Auditor IV der Scientology Church.
  3. H. gehört zu einer Gruppe, die in einem zwangshypnotischen Verfahren unter Zuhilfenahme eines Lügendetektors die Psyche von Menschen zerstören, um sie unter Bewußtseinskontrolle zu stellen.
  4. Der Erlös einer limitierten Lithographie, die in der Saarbrücker Galerie 48 erhältlich ist, fließt nachweislich dem scientologischen Geheimdienst (OSA München) zu.

Die behaupteten Tatsachen seien von den Beklagten nicht bewiesen worden.

b) Auf die Berufung der Beklagten änderte das Oberlandesgericht die erstinstanzliche Entscheidung durch das angegriffene Urteil weitgehend ab. Es hielt die Entscheidung nur hinsichtlich der Äußerung zu 4) aufrecht; bezüglich der Äußerungen zu 1) bis 3) wies es die Klage ab. Die Revision wurde nicht zugelassen.

Es komme nicht darauf an, ob die Äußerungen zu 1) und 2) ehrenrührig und unwahr seien. Wer eine herabsetzende Behauptung über Dritte aufstelle, die nicht aus dem eigenen Erfahrungsbereich stamme und die er nicht selbst überprüfen könne, müsse sich zur Begründung auf unwidersprochene Presseberichte beziehen dürfen. Überspannte Anforderungen an die Darlegungslast des Trägers der Meinungsfreiheit seien zu vermeiden, damit er nicht vom Gebrauch seines Grundrechts abgeschreckt werde. Davon gehe auch das Bundesverfassungsgericht aus (BVerfGE 85, 1 - Kritische Bayer-Aktionäre).

Für die Beklagten sei aus dem Artikel in "Celebrity", Ausgabe 262, der Eindruck entstanden, der Beschwerdeführer habe sich als "Geistlicher" interviewen lassen und sich selbst gegenüber dem Reporter als "Auditor" ausgegeben. Der Beschwerdeführer sei dagegen nicht oder nur unzulänglich vorgegangen. Die von ihm angeforderten Erklärungen, mit denen der Präsident der "Scientology Kirche Deutschland HSO München e.V." bestätigte, der Beschwerdeführer habe in keiner Scientology Organisation irgendeine Funktion oder ein Amt inne und auch keine Ausbildung zum Auditor IV erhalten, seien nicht von der richtigen Stelle, nämlich dem Herausgeber der Zeitschrift "Celebrity", abgegeben worden und enthielten weder eine Unterlassungsverpflichtung noch einen Widerruf.

Die Äußerung zu 3) enthalte im ersten Teil eine Tatsachenbehauptung des Inhalts, der Beschwerdeführer sei Scientologe. Diese Behauptung sei wahr, was sich aus dem Interview in der Zeitschrift "college" aus dem Jahr 1975, der Einladung der Scientology Church 1986 zu einem Sommerfest beim Beschwerdeführer, den Angaben in "Scientology heute" und im "Spiegel", Heft 14/1991, der "impact"-Liste der Großspender von 1991, dem Interview des Beschwerdeführers in der Zeitschrift "Cash Flow" aus dem Jahr 1991, der Mitwirkung bei einer Anzeige in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zum Tod des Begründers der Scientology 1986 und der unwidersprochen gebliebenen Behauptung der Beklagten, der Beschwerdeführer sei im Beirat des Verbands der verantwortungsbewußten Geschäftsleute, einer Tarnorganisation der Scientology, ergebe.

Die zweite Passage der Äußerung zu 3) charakterisiere Scientology in einer Weise, durch die auch auf den Beschwerdeführer ein schlechtes Licht geworfen werde. Dies müsse er aber hinnehmen. Die Beklagten könnten sich auf die Pressemitteilung der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder vom 6. Mai 1994 berufen, nach der sich Scientology als eine Organisation darstellt, "die unter dem Deckmantel einer Religionsgemeinschaft Elemente der Wirtschaftskriminalität und des Psychoterrors gegenüber ihren Mitgliedern mit wirtschaftlichen Betätigungen und sektiererischen Einschlägen vereint". Scientology habe sich gegen diese Presseveröffentlichung nicht gewehrt. Es spiele auch keine Rolle, daß diese Erklärung der Innenminister erst nachträglich abgegeben worden sei.

Der Beschwerdeführer sei durch die weitgehende Abweisung seiner Klage auch nicht in seinen Grundrechten verletzt. Zwar könne er sich auf sein allgemeines Persönlichkeitsrecht und eventuell auf das Grundrecht auf freie Religionsausübung berufen. Den durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit geschützten Interessen der Beklagten an der Veröffentlichung der Behauptungen gebühre aber der Vorrang, weil es sich bei der Gestaltung des ehemaligen KZ-Geländes um eine die Öffentlichkeit berührende Frage gehandelt habe. Auch habe der Beschwerdeführer in der Vergangenheit seine Verbindungen zu Scientology selbst nicht geheimgehalten.

II.

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG.

Er sei kein Scientologe, habe sich nicht zum Geistlichen ausbilden lassen, keine derartige Funktion übernommen und sich auch nicht selbst als Geistlichen bezeichnet. Bei dem Artikel in "Celebrity", Ausgabe 262, handele es sich nicht um ein Interview, sondern um Werbung. Er sei weder für den Artikel befragt worden noch habe er den Abdruck gebilligt. Zwar habe er sich aus allgemeinem Interesse für transzendentale Fragen in den 70er und 80er Jahren mit den Büchern von Scientology beschäftigt und von ihr angebotene Kurse besucht, dann aber das Interesse verloren und sich anderen Themen zugewandt. Ab 1992 habe er sich von Scientology distanziert und sich gegen Behauptungen, er sei Scientologe, gerichtlich gewehrt.

Das Urteil des Berufungsgerichts habe zur Folge, daß unwahre Tatsachen über ihn verbreitet werden dürften. Dies komme in der Wirkung einem Ausstellungs- und Berufsverbot gleich, denn er erhalte in Deutschland aufgrund der Vorwürfe kaum noch Aufträge. Die Grundsätze der Entscheidung im Fall der "Kritischen Bayer-Aktionäre" (BVerfGE 85, 1) seien nicht einschlägig. Bei dem "Celebrity"-Magazin handele es sich um eine nur Mitgliedern in den USA vorbehaltene Veröffentlichung und nicht um frei zugängliche Presseberichte im Sinne der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung. Er habe im übrigen seiner Pflicht zum Vorgehen gegen die Berichte Genüge getan, indem er richtigstellende Erklärungen der Scientology Kirche Deutschland gefordert und erhalten habe; mehr könne ihm nicht zugemutet werden.

III.

Im Verfassungsbeschwerdeverfahren haben sich die Beklagten des Ausgangsverfahrens geäußert. Die Arbeitsgemeinschaft für Geistige und Psychische Freiheit (AGPF), ein Dachverband von Initiativen, die sich mit Sekten befassen und dem der Beklagte zu 1) angehört, hat unaufgefordert Stellung genommen.

1. Der Beklagte zu 1) des Ausgangsverfahrens hat weitere Unterlagen zum Nachweis der Wahrheit seiner Äußerungen eingereicht (Schreiben der "Scientology Church International" und entsprechende dpa-Meldung, beide von Januar 1997).

2. Der Beklagte zu 2) des Ausgangsverfahrens hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Die Feststellung des Oberlandesgerichts, daß die Äußerungen der Beklagten wahr seien, könne nicht beanstandet werden. Insoweit verweist auch er auf zusätzliche Unterlagen (dpa-Meldung von Januar 1997, Artikel im "Stern", Heft 52/1984 und Heft 25/1997, sowie ein Buch von Peter Reichelt). Die Äußerungen seien von der Meinungsfreiheit gedeckt gewesen, denn bei der Frage der Neugestaltung des KZ-Geländes habe die Verbindung des Beschwerdeführers zu Scientology allgemeines Interesse beansprucht.

3. Die AGPF verteidigt ebenfalls das angegriffene Urteil und äußert sich zum Verhalten von Scientology.

B.

Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Das angegriffene Urteil verletzt den Beschwerdeführer in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, soweit es seine Klage abgewiesen hat. Zwar richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil insgesamt. Im Umfang der Stattgabe beschwert es den Beschwerdeführer indessen nicht. Da seine Verfassungsbeschwerde insoweit auch keine Ausführungen enthält, ist sein Begehren dahingehend auszulegen, daß es sich auf die ihn belastenden Teile des Urteilsausspruchs beschränkt (vgl. BVerfGE 1, 14 <39>; 7, 99 <105 f.>; 68, 1 <68>).

I.

Der Beschwerdeführer wird durch die angegriffene Entscheidung in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht berührt.

1. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht entfaltet seinen Schutz auch gegenüber Zuschreibungen von Gruppenmitgliedschaften, sofern diesen Bedeutung für die Persönlichkeit zukommt und deren Bild in der Öffentlichkeit nachteilig beeinflußt.

Das Grundrecht schützt Elemente der Persönlichkeit, die nicht Gegenstand besonderer Freiheitsgarantien sind, aber diesen in ihrer konstituierenden Bedeutung für die Persönlichkeit nicht nachstehen (vgl. BVerfGE 54, 148 <153>; stRspr). Dazu gehört auch die soziale Anerkennung des Einzelnen. Aus diesem Grund umfaßt das allgemeine Persönlichkeitsrecht den Schutz vor Äußerungen, die geeignet sind, sich abträglich auf sein Bild in der Öffentlichkeit auszuwirken. Derartige Äußerungen gefährden die von Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete freie Entfaltung der Persönlichkeit, weil sie das Ansehen des Einzelnen schmälern, seine sozialen Kontakte schwächen und infolgedessen sein Selbstwertgefühl untergraben können. Allerdings reicht der Schutz dieses Grundrechts nicht so weit, daß es dem Einzelnen einen Anspruch darauf verliehe, in der Öffentlichkeit nur so dargestellt zu werden, wie er sich selber sieht oder von anderen gesehen werden möchte. Jedenfalls wird er aber vor verfälschenden oder entstellenden Darstellungen seiner Person geschützt, die von nicht ganz unerheblicher Bedeutung für die Persönlichkeitsentfaltung sind (vgl. BVerfGE 97, 125 <148 f.>; 97, 391 <403>).

Die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen oder Vereinigungen hat in der Regel eine derartige Persönlichkeitsrelevanz. Gehört ihnen jemand durch Geburt oder Sozialisation an, so besitzt sie meist identitätsbildenden Einfluß auf die Person. Ist er ihnen durch freien Entschluß beigetreten, weist das in der Regel auf einen hohen Identifikationsgrad mit ihren Zielen und Verhaltensweisen hin und kann persönlichkeitsbestimmende Kraft annehmen. Von seiner Umwelt wird der Einzelne mit Organisationen oder Gruppen, zu denen er sich bekennt, mehr oder weniger identifiziert. Sein Ansehen hängt nicht allein von seinen individuellen Eigenschaften und Leistungen, sondern auch von der Einschätzung der Gruppen ab, denen er angehört (vgl. BVerfGE 93, 266 <299>). Das gilt im besonderen für Gruppen oder Vereinigungen, die sich religiös oder weltanschaulich definieren, und zwar in gesteigertem Maß, wenn sie nicht zu den traditionellen Religions- oder Weltanschauungsgruppen zählen, sondern eine Minderheitenposition einnehmen und in der Gesellschaft kritisch oder gar ablehnend betrachtet werden.

2. Die angegriffene Entscheidung beeinträchtigt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG.

Der grundrechtliche Schutz gegenüber nachteiligen Behauptungen wirkt freilich nicht unmittelbar gegenüber Dritten. Auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht entfaltet direkte Wirkung nur gegenüber dem Staat. Dieser ist aber grundrechtlich gehalten, den Einzelnen vor Persönlichkeitsgefährdungen durch Dritte zu schützen (vgl. BVerfGE 73, 118 <201>; 97, 125 <146>). Soweit die Gerichte Normen anwenden, die diesem Schutz dienen, haben sie die grundrechtlichen Maßgaben zu beachten. Verfehlen sie sie, so liegt darin nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht nur eine Verletzung objektiven Verfassungsrechts, sondern auch ein Verstoß gegen die subjektiven Grundrechte des Betroffenen (vgl. BVerfGE 7, 198 <206 f.>).

Gerichtliche Entscheidungen, die persönlichkeitsrelevante Aussagen zulassen, gegen die sich der Betroffene mit der Begründung wehrt, sie seien falsch, beeinträchtigen daher das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Das ist bei der Abweisung der Klage des Beschwerdeführers auf Unterlassung der Äußerungen, er sei Mitglied der Scientology-Gruppe, habe sich selbst als Geistlicher dieser Gemeinschaft bezeichnet und sei auch Geistlicher, der Fall. Die ihm vorgeworfene enge Verbindung zu Scientology kann das Bild negativ beeinflussen, das sich die Öffentlichkeit von ihm macht. Das gilt um so mehr, als gerade diese Organisation in der Gesellschaft äußerst umstritten ist und des öfteren Gegenstand staatlicher Warnungen und kritischer Presseberichte war. Es ist auch nicht auszuschließen, daß die Behauptung, der Beschwerdeführer sei Scientologe in führender Position, seine künstlerische Betätigung erschwert, weil sich eine Rufschädigung bei Aufträgen oder Ankäufen nachteilig auswirken kann.

Entscheidungsgründe

[...]

 

BVerfG, Beschluß vom 10.11.1998, 1 BvR 1531/96 - Helnwein

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