FG Berlin-Brandenburg: Zugang über besonderes elektronisches Behördenpostfach (beBPo) des Finanzamts, 7 V 7130/19

Redaktioneller Leitsatz

Soweit ein Finanzamt im amtlichen Adressverzeichnis des beA unter der Bezeichnung "ELSTER-FA-..." aufgelistet ist, hat das Finanzamt ein beBPo eingerichtet und den Zugang auf dieses beBPo konkludent eröffnet. 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten darum, ob die Antragstellerin rechtzeitig Einspruch eingelegt hat und ob der Antragsgegner die der Besteuerung zugrunde gelegten Betriebseinnahmen zu Recht um hinzugeschätzte Beträge erhöht hat.

Die Antragstellerin erzielte mit einem ambulanten Pflegedienst Einkünfte aus Gewerbetrieb, die sie im Wege des Bestandsvergleichs (§ 4 Abs. 1 Einkommensteuergesetz -EStG-) ermittelte. Zur Einziehung ihrer Honorarforderungen bediente sie sich — jedenfalls soweit es nicht um Privatzahler handelte — eines Abrechnungsunternehmens.

Die ursprünglichen Steuerfestsetzungen für die Streitjahre ergingen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.

Vom 26.02.2018 bis 10.01.2019 führte der Antragsgegner bei der Antragstellerin eine Außenprüfung für die Streitjahre durch. Im Rahmen der Prüfung gingen der Prüferin Auswertungen des Abrechnungsunternehmens zu, die jeweils mit „Positionsstatistik kumulativ“ überschrieben sind. Die Jahressummen dieser Statistiken überstiegen die von der Antragstellerin erklärten Betriebseinnahmen. Wegen des Inhalts im Einzelnen nimmt das Gericht Bezug auf die Heftung im Arbeitsbogen. Die Prüferin gelangte zu der Auffassung, dass die von der Antragstellerin erklärten Betriebseinnahmen hinter den tatsächlich erzielten Betriebseinnahmen zurückblieben. Diese ergäben sich aus den Positionsstatistiken des Abrechnungsunternehmens, wobei sich der Erhöhungsbetrag aus der Differenz zu den erklärten Betriebseinnahmen nach Abzug der Privatrechnungen ergebe. Ferner seien die Mietaufwendungen für die „Intensiv-WG’s" in Höhe von 11.175,00 € in 2013 nicht abzugsfähig. Davon ausgehend ermittelte die Prüferin Gewinnerhöhungen in Höhe von 108.280,00 € in 2012, 103.971,00 € in 2013, 142.871,00 € in 2014 und 161.987,00 € in 2015. Wegen der Einzelheiten nimmt das Gericht Bezug auf Tz 4 des Außenprüfungsberichts.

Davon ausgehend erließ der Antragsgegner am 21.05.2019 geänderte Einkommensteuerbescheide 2012 bis 2015, mit denen er die Einkommensteuer auf 59.577,00 € für 2012 (Nachzahlung: 45.477,00 €), 65.068,00 € für 2013 (Nachzahlung: 43.668,00 €), 118.113,00€ für 2014 (Nachzahlung: 61.409,00€) und 85.286,00€ für 2015 (Nachzahlung: 68.035,00 €) festsetzte (Bl. 9 ff. Gerichtsakte -GA-). Mit dem Einkommensteuerbescheid 2015 war die Festsetzung nachträglicher Vorauszahlungen für 2018 und erhöhter Vorauszahlungen für die Jahre ab 2019 verbunden (BI. 33 GA).

Am 05.07.2019 fragte die Antragstellerin durch ihren Bevollmächtigten beim Antragsgegner an, wann mit einer Entscheidung über ihren Antrag auf Aussetzung der Vollziehung vom 27.05.2019 gerechnet werden könne. Ein solcher Antrag (verbunden mit einem Einspruch u.a. gegen die Einkommensteuerbescheide 2012 bis 2015 nebst Vorauszahlungen für 2018 ff. vom 21.05.2019) hatte der Bevollmächtigte mit Schriftsatz vom 08.07.2019 per besonderem elektronischem Anwaltspostfach -beA-/Elektronisches Gerichts- und Verwaltungspostfach -EGVP- dem Finanzamt für Fahndung und Strafsachen - Bußgeld- und Strafsachenstelle übermittelt, die den Schriftsatz vom 08.07.2019 mit Anlage am 07.08.2019 an den Antragsgegner üibermittelte. Der Schriftsatz vom 27.05.2019 ist an den Antragsgegner gerichtet und ebenfalls mit, nur per beA/EGVP“ überschrieben. Der Schriftsatz vom 08.07.2019 nebst Anlagen wurde dem Finanzamt für Fahndung und Strafsachen am gleichen Tag per Email der Senatsverwaltung für Finanzen übermittelt. Die Email lautet auszugsweise: „… anbei erhalten Sie einen elektronischen Eingang …, der an das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) geschickt wurde“.

Am 10.07.2019 mahnte der Antragsgegner die Antragstellerin u.a. wegen der streitbefangenen Nachzahlungen und forderte sie zur umgehenden Zahlung auf. Andernfalls sei er gezwungen, die Vollstreckung durchzuführen.

Daraufhin hat die Antragstellerin am 19.07.2019 beim erkennenden Gericht einen Antrag nach § 69 Abs. 3 Finanzgerichtsordnung -FGO- gestellt und vorgetragen, dass der Antragsgegner sich auf die Sachstandsanfrage vom 05.07.2019 nicht geäußert habe. Dem Antrag ist die Einspruchsschrift vom 27.05.2019 beigefügt gewesen, die dem Antragsgegner zusammen mit der Antragsschrift am 25.07.2019 zugestellt worden ist.

Mit Verfügung vom 14.08.2019 hat der Antragsgegner die Antragstellerin darauf hinge- wiesen, dass ihr Einspruch vom 27.05.2019 erst am 25.07.2019 bei ihr eingegangen sei und daher verfristet sei. Den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung hat der Antragsgegner abgelehnt.

Am 20.08.2019 hat die Antragstellerin beim Antragsgegner einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt und vorgetragen, der Einspruch sei am 29.05.2019 durch ihren Bevollmächtigten per beA/Elster an den Antragsgegner übermittelt worden. Sie verweist auf ein Sendeprotokoll vom 29.05.2019, 12:49 Uhr, das als Empfänger „ELSTER-FA-..._...._BE (..... Berlin)“ ausweist, als
Anhänge u.a. „Schriftsatz.pdf“, „Schriftsatz.pdf.p7a Signatur“ und diverse Anhänge. Das Dokument schließt mit „Zusammenfassung Prüfprotokoll: ELSTER-FA-... (..... Berlin)" … Übermittlungsst. Erfolgreich". Wegen der Einzelheiten wird auf BI. 15 Rechtsbehelfsakte -RbA- verwiesen. Eine Rücksprache des Antragsgegners mit der Senatsverwaltung für Finanzen vom 20.08.2019 hat ergeben, dass im Portal für den 29.05.2019 kein Eingang zu verzeichnen sei (Bl. 12 RbA).

Den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat der Antragsgegner mit Verfügung vom 27.08.2019 abgelehnt, da sich der Anwendungsbereich des EGVP nur auf Gerichte, Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte der Länder und des Bundes erstrecke. Eine Übermittlung von Schriftverkehr an die Finanzämter sei nicht vorgesehen. Der Einspruch sei ihm erst am 25.07.2019 mit der Antragsschrift durch das Gericht übermittelt worden.

Am 03.09.2019 hat die Antragstellerin ergänzend vorgetragen, die im Sendeprotokoll genannten Empfängerdaten seien im Adressverzeichnis des beA fest verzeichnet und könnten dort ausgewählt werden. Der Einspruch sei nicht mittels EGVP übermittelt worden, vielmehr gehe sie aufgrund der Adressenbezeichnung davon aus, dass der Einspruch über das System Elster erfolgt sei. Aufgrund des Sendeprotokolls gehe sie davon aus, dass der Einspruch auf dem dem Antragsgegner unter der Bezeichnung „ELSTER-FA-..._...._BE (..... Berlin)“ zugeordneten Server am 29.05.2019 zugegangen sei. Zur weiteren Erläuterung hat sie Screenshots für eine (nachgestellte) Schriftsatzübermittlung aus dem beA an den Antragsgegner vorgelegt. Wegen der Einzelheiten nimmt das Gericht auf den Schriftsatz vom 16.09.2019 (BI. 123 ff. GA) Bezug. Aus der Existenz des Antragsgegners im Adressverzeichnis des beA sei zu folgern, dass der Antragsgegner ein besonderes elektronisches Behördenpostfach —-beBPo-- eingerichtet und gemäß § 87a Abs. 1 Satz 1 Abgabenordnung -AO- den Zugang dazu eröffnet habe. Dies könne nach Ziff. 1.1 Satz 2 des Anwendungserlasses zur AO -AEAO- zu § 87a AO durch ausdrückliche Erklärung oder konkludent sowie generell erfolgen. Jedenfalls seien die den angefochtenen Bescheiden beigefügten Rechtsbehelfsbelehrungen falsch, wenn ein Einspruch auf dem von ihr gewählten Weg nicht übermittelt werden könne. Schließlich sei ihr ggf. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da sie aufgrund der Benennung des Antragsgegners als Empfänger im beA habe davon ausgehen können, dass eine Einspruchseinlegung auf diesem Weg möglich und zulässig sei.

In der Sache sei der Antrag begründet. Der Antragsgegner habe die erklärten Gewinne zu Unrecht auf der Grundlage von Schätzungen erhöht. Die von der Prüferin zugrunde gelegten Statistiken seien keine geeignete Schatzungsgrundlage. Diese ließen nicht zuverlässig erkennen, welche Honorare das Abrechnungsunternehmen tatsächlich zugunsten der Antragstellerin erfolgreich abgerechnet habe. Denn es gebe eine Vielzahl von Kurzungen, z.B. durch Höchstbeträge, die für die Patienten bewilligt worden seien, durch Belastungen seitens des Abrechnungsunternehmens oder durch Korrekturen der Kostenträger. Die Statistiken seien auch nicht Grundlage für die Abrechnungen gewesen, sondern sog. Überweisungstalons, wie sie ihn beispielhaft als Anlage ASt 16 ihrem Schriftsatz vom 23.09.2019 beifüge. Die abweichende Auffassung des Antragsgegners sei willkürlich und führe zur Nichtigkeit der angefochtenen Bescheide.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

die Vollziehung der Bescheide über Einkommensteuer 2012 bis 2015 und Vorauszahlungen zur Einkommensteuer 2018 ff. vom 21.05.2019 auszusetzen.

Der Antragsgegner beantragt,


den Antrag zurückzuweisen.

Er hält die angefochtenen Bescheide für bestandskräftig. Vor dem 25.07.2019 sei bei ihm kein Einspruch gegen die angefochtenen Bescheide eingegangen. Die Rechtsbehelfsbelehrungen seien ordnungsgemäß. Es müsse nicht jeder zugelassene elektronische Übermittlungsweg aufgeführt werden. Der Antragstellerin sei auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewahren. Der Antragsgegner verweist auf seine Verfügung vom 27.08.2019 und ergänzt, dass ein Bevollmächtigter, der sich einer elektronischen Übermittlungsart bediene, die für die Finanzämter rechtlich nicht vorgesehen sei, die gebotene und zumutbare Sorgfalt außeracht gelassen habe. Ferner sei das beA ausdrücklich für den elektronischen Rechtsverkehr mit den Gerichten vorgesehen, was sich aus einer Presseerklärung der Bundesrechtsanwaltskammer vom 28.11.2016 ergebe. Die Bescheide seien nicht nichtig, da die höheren Gewinne auf die Überprüfung der Abrechnungen des Abrechnungsunternehmens zurückzuführen seien.

Dem Gericht haben je ein Band Einkommensteuer-, Bilanz-, Betriebsprüfungs-, Betriebsprüfungsberichts- und Rechtsbehelfsakten sowie ein Leitz-Ordner mit dem Arbeitsbogen der Außenprüferin vorgelegen, die der Antragsgegner für die Antragstellerin unter der Steuer-Nr. ... führt.

II.

1. Das Gericht legt den Antrag dahin gehend aus, dass die Erwähnung des Solidaritätszuschlags, der Kirchensteuer und der Zinsen nur eine Anregung an den Antragsgegner sein soll, im Erfolgsfall gemäß § 361 Abs. 3 Satz 1 AO insoweit die Folgeaussetzung zu gewahren. Denn für das Begehren von Aussetzung der Vollziehung für Folgebescheide würde das Rechtsschutzbedürfnis fehlen (Gräber/Stapperfend, FGO, 9. Aufl., 2019, § 69 Rn 74; vgl. auch Bundesfinanzhof -BFH-, Beschluss vom 17.07.2019 X B 21/19, juris, Rn 18).

2. Der Antrag ist zulässig.

a) aa) Die Zugangsvoraussetzung des § 69 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 FGO liegt vor. Danach ist ein Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO zulässig, wenn die Finanzbehörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat. Im Streitfall lag dem Antragsgegner für rückständige Beträge in sechsstelliger Größenordnung, die (mit Ausnahme der Vorauszahlungen für 2019ff.) seit dem 24.06.2019 fällig und seit dem 10.07.2019 gemahnt waren, seit dem 05.07.2019 ein An- trag auf Aussetzung der Vollziehung vor. Die Sachstandsanfrage war nach der Aktenlage des Antragsgegners, die einen Postverlust jedenfalls denkbar erscheinen ließ, jedenfalls als ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung auszulegen. Über diesen war nach den zuvor geschilderten Gesamtumständen äußerst zügig zu entscheiden oder es war eine Zwischennachricht in Gestalt einer Mitteilung eines zureichenden Grundes für den Aufschub einer Entscheidung zu erteilen. Das Gericht sieht dafür eine Frist von maximal 13 Tagen zwischen dem Antragseingang und dem Zugang einer Reaktion bei der Antragstellerin als angemessen an.

bb) Jedenfalls liegt für die seit dem 24.06.2019 fälligen Beträge die Zugangsvoraussetzung des § 69 Abs. 4 Nr. 2 FGO vor. Danach ist ein Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO zulässig, wenn die Vollstreckung droht. Dies war für diese Beträge am 19.07.2019 der Fall, da diese seit dem 24.06.2019 fällig und seit dem 10.07.2019 gemahnt waren. Dass die Antragstellerin mehr als eine Woche nach Zugang der Mahnung mit einer unmittelbar bevorstehenden Vollstreckung ohne weitere Vorankündigung rechnen musste, zeigt die Tatsache, dass der Antragsgegner Ende August/Anfang September 2019 nach Aktenlage ohne weitere Vorankündigung das Geschäftskonto der Antragstellerin gepfändet hat, obwohl er nach Ziff. 3.2 Satz 3 AEAO zu § 361 AO angewiesen war, vor der Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen mit dem Finanzgericht Verbindung aufzunehmen (was der Antragsgegner unterlassen hat) und obwohl das Gericht gegenüber dem Antragsgegner in der Eingangsverfügung die Erwartung geäußert hatte, dass vor der Bekanntgabe einer das Verfahren abschließenden Entscheidung keine Vollstreckungsmaßnahmen ergriffen werden.

b) Die angefochtenen Verwaltungsakte sind nicht bestandskräftig geworden. Die Antragstellerin hat die Einspruchsfrist gemäß § 355 Abs. 1 Satz 1 AO gewahrt. Es kommt nicht darauf an, ob die Einspruchsfrist gemäß § 356 Abs. 2 Satz 1 AO verlängert ist.

aa) Die Übersendung des Einspruchsschreibens vom beA des Bevollmächtigten der Antragstellerin auf ein beBPo des Antragsgegners war geeignet, die Einspruchsfrist zu wahren.

(1) Die Antragstellerin hat ihren Einspruch formell ordnungsgemäß elektronisch versandt.

(a) Nach § 357 Abs. 1 Satz 1 und 2 AO ist der Einspruch schriftlich oder elektronisch ein- zureichen oder zur Niederschrift zu erklären, wobei ausreicht, dass aus dem Einspruch hervorgeht, wer ihn eingelegt hat. In welcher Weise ein Einspruch elektronisch einzulegen ist, regelt § 357 AO nicht. Dies ergibt sich vielmehr aus § 87a AO, der allgemein die elektronische Kommunikation mit den Finanzbehörden regelt (vgl. z.B. Bartone in Gosch, AO/FGO, Stand: 128. Erg.-Lfg. Dezember 2016, § 355 AO Rn 23).

Nach § 87a Abs. 1 Satz 1 AO ist die Übermittlung elektronischer Dokumente zulässig, soweit der Empfänger hierfür einen Zugang eröffnet. Wie die Antragstellerin zutreffend vorgetragen hat, kann die Zugangseröffnung nach der Verwaltungsauffassung durch ausdrückliche Erklärung oder konkludent sowie generell oder nur für bestimmte Fälle erfolgen. Dem hat sich die einhellige Auffassung im Schrifttum angeschlossen (Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand: Lfg. 147 Januar 2017, § 87a AO Rn 4; Schmieszek in Gosch, AO/FGO, Stand: 135. Erg.-Lfg. Oktober 2017, § 87a AO Rn 48 ff.; Klein/Rätke, AO, 14. Aufl. 2018, § 87a Rn 12; Thürmer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Stand: § 87a AO Rn 57; Kobor in Pfirrmann/Rosenke/Wagner, BeckOK AO, Stand: 9. Edition 01.07.2019, § 87a Rn 5; vgl. auch BFH, Urteil vom 13.05.2015 III R 26/14, BStBI Il 2015, 790). Auch das Gericht folgt dieser aus dem Wortlaut sowie dem Sinn und Zweck der Regelung folgerichtigen Auffassung.

(b) Im Streitfall hat der Antragsgegner für von einem beA übersandte Dokumente den Zugang auf einem von ihm unterhaltenen beBPo konkludent eröffnet.

Denn der Antragsteller hat nach Aktenlage ein beBPo eingerichtet. Nach dem unbestrittenen Vortrag der Antragstellerin wird für den Antragsgegner im amtlichen Adressverzeichnis des beA unter der Bezeichnung »ELSTER-FA-..._BE (... Berlin)“ ein Postfach aufgelistet. Ferner ist der Antragsgegner nach § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Förderung der elektronischen Verwaltung vom 25.07.2013 (Bundesgesetzblatt -BGBI- | 2013, 2749), zuletzt geändert durch Gesetz vom 21.06.2019 (BGBI | 2019, 846) -EGovG- verpflichtet, auch einen Zugang für die Übermittlung elektronischer Dokumente, auch soweit sie mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen sind, zu eröffnen. Diese Vorschrift gilt gemäß § 1 Abs. 2 EGovG auch für die Bundesrecht ausführenden Landesbehörden, zu denen die Finanzämter gehören. Das Gleiche ergibt sich aus § 4 Abs. 1 EGovG Berlin vom 30.05.2016 (Gesetz- und Verordnungsblatt Berlin 2016, 282). Schließlich muss ein beBPo nach § 6 Abs. 2 Nr. 2 der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach vom 24.11.2017 (BGBI | 2017, 3803), zuletzt geändert durch Verordnung vom 09.02.2018 (BGBI | 2018, 200) -ERVV- für andere Inhaber von besonderen elektronischen Postfächern adressierbar sein. Zwar regelt die ERVV nach ihrem §1 Abs. 1 nur die Übermittlung elektronischer Dokumente an Gerichte und Strafverfolgungsbehörden, jedoch legt sie gleichwohl über ihren eigentlichen Anwendungsbereich Standards für beBPos fest, mit denen die Behörden mit Gerichten und Strafverfolgungsbehörden kommunizieren. Zu Unrecht geht der Antragsgegner auch davon aus, dass die Kommunikation mit Behörden vom beA unzulässig sei. Die formell-gesetzliche Grundlage für das beA, § 31a Bundesrechtsanwaltsordnung -BRAO-, enthält dazu keine Regelung. § 19 Abs. 2 der Verordnung über die Rechtsanwaltsverzeichnisse und die besonderen Anwaltspostfächer vom 23.09.2016 (BGBI | 2016, 2167), zuletzt geändert durch Gesetz vom 12.05.2017 (BGBI | 2017, 1121), bestimmt jedoch, dass das beA auch der elektronischen Kommunikation mit anderen Personen oder Stellen als Gerichten, Mitglieder von Rechtsanwaltskammern und Rechtsanwaltskammern dienen kann, also auch der Kommunikation mit Behörden.

Vor diesem normativen Hintergrund bestand für den Antragsgegner zwar möglicherweise keine für den Bevollmächtigten der Antragstellerin einklagbare Verpflichtung darauf, von seinem beA mit dem beBPo des Antragsgegners kommunizieren zu können, soweit z.B. ein in der Qualität ebenbürtiger Zugang über die Website elster.de bestand. Jedoch deutet die Existenz der Position ELSTER-FA-..._BE (... Berlin)“ im Adressverzeichnis des beA, die offenbar problemlose Kommunikation zwischen dem Bevollmächtigten der Antragstellerin über dessen beA und das beBPo des Finanzamts für Fahndung und Strafsachen und der Umstand, dass in den vorliegenden Akten seitens der handelnden Dienstkräfte der Finanzverwaltung die Existenz eines beBPo für den Antragsgegner nicht bestritten wird, daraufhin, dass für den Antragsgegner ein den Anforderungen des § 6 Abs. 2 Nr. 2 ERVV genügendes, also ein für Inhaber eines beA adressierbares beBPo, eingerichtet wurde. Dass die Aufnahme in das Adressverzeichnis des beA gegen den Willen des Antragsgegners geschah, hat dieser nicht vorgetragen und ist auch sonst nach Aktenlage nicht ersichtlich. Diese Einrichtung des beBPo und deren Bekanntgabe über das Adressverzeichnis des beA sind als konkludente Eröffnung des Zugangs anzusehen.

(2) Das Gericht lässt dahin gestellt, ob der Einspruch der Antragstellerin auf dem beBPo des Antragsgegners eingegangen ist. Denn wie der Beschluss des BFH vom 05.06.2019 IX B 121/18 (Betriebs-Berater -BB- 2019, 1960) zeigt, ist nicht völlig ausgeschlossen, dass trotz eines positiven Sendeberichts ein im elektronischen Rechtsverkehr versandtes Dokument nicht an den Empfänger gelangt.

bb) Sollte der am 29.05.2019 versandte Einspruch der Antragstellerin vom 27.05.2019 nicht zeitnah auf dem beBPo des Antragsgegners eingegangen sein, wäre der Antragstellerin jedenfalls nach § 110 AO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewahren.

(1) Da die Antragstellerin ihren Einspruch auf einem formell ordnungsgemäßen Weg ein- gelegt hat, durfte ihr Bevollmächtigter nach dem Empfang eines die erfolgreiche Übermittlung bestätigenden Sendeberichts davon ausgehen, dass der Einspruch dem Antragsgegner zugegangen war (vgl. BFH, Beschluss vom 05.06.2019, BB 2019, 1960). Anhaltspunkte für ein Verschulden der Antragstellerin oder ihres Bevollmächtigten an einem womöglich fehlenden Zugang bestehen nicht.

(2) Die Antragstellerin hat unter Wahrung der Monatsfrist gemäß § 110 Abs. 2 Satz 1 AO rechtzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und die ihr fehlendes Verschulden begründenden Tatsachen vorgetragen. Der Antragstellerin bzw. ihrem Bevollmächtigten ist erst aufgrund der Verfügung des Antragsgegners vom 14.08.2019 bekannt geworden, dass ihr Einspruch beim Antragsgegner nicht eingegangen sein soll. Darauf hat sie am 20.08.2019 die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und die für die Wiedereinsetzung wesentlichen Tatsachen vorgetragen. Die möglicherweise versäumte Handlung, die Einlegung des Einspruchs, hatte sie entweder mit der Sachstandsanfrage vom 05.07.2019 oder am 25.07.2019 (durch die Zustellung der Einspruchsschrift als Anlage zur Antragsschrift durch das Gericht) nachgeholt.

3. Der Antrag ist begründet.

Es bestehen i.S. des § 69 Abs. 2 und 3 FGO ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide.

a) Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung soll u.a. erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO). Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen bereits dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheides neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung seit dem Beschluss des BFH vom 10.02.1967 Ill B 9/66, Bundessteuerblatt -BStBI- Il 1967, 182; Beschluss vom 21.07.2016 V B 37/16, BStBl |1 2017, 28). Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im Verfahren nach § 69 Abs. 3 FGO gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt (BFH, Beschluss vom 24.05.2016 VB 123/15, BFH/NV 2016, 1253 m.w.N.). Zur Gewährung der Aussetzung der Vollziehung ist es nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen (BFH, Beschlüsse vom 07.09.2011 1B 157/10, BStBI Il 2012, 590; vom 24.05.2016 V B 123/15, BFH/NV 2016, 1253). Wie im Hauptsacheverfahren gelten auch im Verfahren nach § 69 Abs. 3 FGO grundsätzlich die Regeln über die objektive Feststellungslast mit der Folge, dass die Beteiligten entscheidungserhebliche Einwendungen im Rahmen ihrer Mitwirkungspflichten darlegen und ggf. glaubhaft machen müssen (BFH, Beschlüsse vom 26.08.2004 V B 243/03, BFH/NV 2005, 255; vom 27.11.2009 || B 102/09, juris). Dabei können nur präsente Beweismittel (im Wesentlichen: Urkunden oder Kopien davon und eidesstattliche Versicherungen) berücksichtigt werden (BFH, Beschluss vom 07.10.2004 VII B 46/04, BFH/NV 2005, 827: Gräber/Stapperfend, FGO, 9. Aufl. 2019, § 69 Rn 196 m.w.N.).

b) Nach diesen Kriterien erscheint ernstlich zweifelhaft, dass der Antragsgegner befugt war, die der Besteuerung zugrunde gelegten Gewinne um die streitigen Beträge zu erhöhen.

aa) Soweit der Antragsgegner die Gewinne ausgehend von sog. Abrechnungen des Abrechnungsunternehmens erhöht hat, gibt es dafür nach der gebotenen summarischen Prüfung keine tatsächliche Grundlage.

(1) Einen Anlass für eine Schätzung gemäß § 162 AO hat der Antragsgegner nicht dargelegt. Insbesondere fehlen Ausführungen dazu, dass die Buchführung der Antragstellerin formell mangelhaft wäre.

(2) Das Gericht kann auch nicht erkennen, dass die vorliegenden Unterlagen Anlass gaben, die materielle Richtigkeit der Buchführung anzuzweifeln.

Der Antragsgegner behauptet zwar, die von der Prüferin zur Grundlage ihrer Feststellungen gemachten Ausdrucke des Abrechnungsunternehmens stellten Abrechnungen dar, erläutert jedoch nicht, warum diese von einem professionellen Abrechnungsunternehmen mit „Positionsstatistik kumulativ“ überschrieben worden sein sollen. Dies entspricht nicht den Abrechnungen von Abrechnungsunternehmen, die dem erkennenden Senat aus anderen Verfahren bekannt sind. Die ihm dort bekannt gewordenen Abrechnungen entsprechen in etwa dem von der Antragstellerin vorgelegten Beispiel (Anlage ASt 16 zum Schriftsatz vom 23.09.2019). Unerörtert bleibt auch, wie die Antragstellerin die hinzugerechneten Beträge vereinnahmt haben soll. Da die Prüferin die Beträge als Entnahmen behandelt hat, müsste die Antragstellerin sie außerhalb der Buchführung vereinnahmt haben, ohne dass erkennbar wird, wie das geschehen sein soll. Denn professionelle Abrechnungsunternehmen zahlen üblicherweise den Forderungssaldo ihrer Kunden nicht bar aus. Schließlich hat der Antragsgegner auch nicht die Einwände der Antragstellerin widerlegt, dass die abgerechneten Beträge um die Marge des Abrechnungsunternehmens gekürzt worden seien (was den Erkenntnissen des Gerichts aus anderen Verfahren entspricht) und dass Abrechnungen von den Kostenträgern gekürzt worden seien (was nicht unwahrscheinlich erscheint).

bb) Welcher Sachverhalt mit welchen rechtlichen Erwägungen der Prüfungsfeststellung »Die Mietaufwendungen für die Intensiv-WG’s sind nicht abzugsfähig.“ zugrunde liegt, kann das Gericht nach Aktenlage nicht erkennen, so dass auch insoweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bescheide bestehen.

c) Nach § 37 Abs. 3 Satz 2 EStG bemessen sich die Vorauszahlungen grundsätzlich nach der Einkommensteuer, die sich nach Anrechnung der Steuerabzugsbeträge bei der letzten Veranlagung ergeben hat. Da an der Höhe der vom Antragsgegner für 2015 zugrunde gelegten Einkommensteuer - wie dargelegt - ernstliche Zweifel bestehen, gilt dies auch für die Höhe der ausgehend von der Höhe der derzeit festgesetzten Einkommensteuer 2015 bemessenen Vorauszahlungen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

5. Das Gericht hat die Beschwerde gemäß 128 Abs. 3 FGO i.V. mit § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen, weil zur Frage der Einspruchseinlegung vom beA über ein beBPo noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung vorliegt.

Finanzgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25.09.2019, 7 V 7130/19

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