Sachverhaltsermittlung in Markenverfahren

In Markenverfahren existieren verschiedene Grundsätze zur Sachverhaltsermittlung. Neben dem Antragsprinzip und dem Untersuchungsgrundsatz existieren Regelungen zum Umgang mit Verspätungen und der Beibringung.

Antragsprinzip

In Verfahren vor dem DPMA gilt der Antragsgrundsatz. Das DPMA wird also nur auf Antrag tätig. Eine Ausnahme hierzu bildet das Amtslöschungsverfahren gemäß § 50 Abs. 3 MarkenG, das jedoch keine große praktische Relevanz besitzt.

Auch für das EUIPO gilt das Antragsprinzip. Das Amt ist an den Antrag und seine wesentliche Begründung gebunden. Es kann daher z.B. nicht von sich aus Löschungsgründe in die Prüfung einbeziehen, die vom Antragsteller überhaupt nicht geltend gemacht worden sind oder im Widerspruchsverfahren über den Gegenstand des Widerspruchs hinausgehen, z.B. weitere Klassen berücksichtigen, auf die sich der Widerspruch gar nicht bezieht.[1]

Untersuchungsgrundsatz

Grundsätzlich gilt vor dem DPMA und dem BPatG der Untersuchungsgrundsatz (Amtsermittlungsgrundsatz, §§ 59 Abs. 1, 73 Abs. 1 MarkenG) innerhalb der gestellten Anträge, sodass die Dispositionsmaxime ebenfalls gilt. 

Der Amtsermittlungsgrundsatz gilt allerdings nur in dem Rahmen, der den tatsächlichen Möglichkeiten des DPMA entspricht. Beispielsweise wird vom DPMA kein Verkehrsgutachten zur Bekanntheit einer Marke eingeholt. Insofern trifft die materielle Beweislast denjenigen, der sich auf einen behaupteten Sachverhalt beruft[2]. Der Amtsermittlungsgrundsatz führt dazu, dass es im Rahmen der Grundsätze eines fairen Verfahrens keine Zurückweisung von Sachverhaltsvorbringen als verspätet gibt. Verfahrenshandlungen vor dem DPMA sind grundsätzlich bedingungsfeindlich.

Gemäß Art. 95 Abs. 1 S. 1 UMV ermittelt auch das EUIPO in den einzelnen Verfahren grundsätzlich den Sachverhalt von Amts wegen und ist dabei an das Tatsachenvorbringen (und auch an die rechtlichen Argumente) der Parteien nicht gebunden. Dieser Untersuchungsgrundsatz bedeutet allerdings nicht, dass das Amt einen Sachverhalt in allen Einzelheiten zu ermitteln hätte. Vielmehr entscheidet das Amt nach pflichtgemäßem Ermessen, wie weit eine sachgerechte Sachverhaltsaufklärung reicht. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Verfahrensbeteiligten auch Mitwirkungspflichten treffen.  Wesentliche Aspekte sind deshalb frühzeitig und vollständig von den Parteien vorzubringen. 

Art. 95 Abs. 1 UMV ist Ausdruck der Sorgfaltspflicht, nach der die zuständige Behörde alle relevanten tatsächlichen und rechtlichen Umstände des Einzelfalls sorgfältig und unparteiisch zu untersuchen hat. „Stützt die Beschwerdekammer des HABM ihre Annahme, dass eine Widerspruchsmarke ernsthaft benutzt worden sei, auf ein diesbezügliches nationales Gerichtsurteil, ohne die dort nur knapp in Bezug genommenen Unterlagen beizuziehen, so liegt darin eine Verletzung der Sorgfaltspflicht, die der Beschwerdekammer nach Art. 76 Abs. 1 UMV obliegt.“[3]

Der grundsätzlich geltende Untersuchungsgrundsatz wird allerdings durch drei wesentliche Gesichtspunkte beschränkt: das Antragsprinzip, Regelungen zur Verspätung und den Beibringungsgrundsatz.

Verspätung

Nach Art. 95 Abs. 2 UMV kann das Amt verspätetes Vorbringen unberücksichtigt lassen. Ob ein Vorbringen verspätet ist, hängt vom Verlauf des jeweiligen Verfahrens ab. Regelmäßig verspätet ist: 

  • Vorbringen, welches nach Ablauf einer gesetzten Frist eingeht sowie
  • wesentlicher Sachvortrag zum Ende oder nach Abschluss eines Verfahrensabschnitts (z.B. der Einwand mangelnder Benutzung der Widerspruchsmarke nicht im ersten Erwiderungsschriftsatz). 

Im einseitigen Verfahren ist das Amt gehalten, Vorbringen, das noch berücksichtigt werden kann, in seine Entscheidungsfindung mit einzubeziehen, auch wenn es verspätet ist. In der Verfahrenspraxis des Amtes wird dies relativ großzügig gehandhabt. Maßvolle Fristüberschreitungen werden eher selten mit der Anwendung des Art. 95 Abs. 2 UMV quittiert. Hierauf sollte man sich aber im Zweifel nicht verlassen.

Im mehrseitigen Verfahren entscheidet das Amt nach pflichtgemäßem Ermessen, ob es verspätetes Vorbringen noch berücksichtigt. Sofern dies geschieht, sind die anderen Verfahrensbeteiligten hiervon zu unterrichten. Außerdem muss ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden. Im Regelfall wird man bei mehrseitigen Verfahren davon auszugehen haben, dass das Amt verspäteten Vortrag nicht berücksichtigt. Einen bedingungslosen Anspruch darauf, dass auch verspäteter Vortrag berücksichtigt wird, gibt es nicht.[7] Dem Amt ist es andererseits aber nicht untersagt, solche verspätet vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel zu berücksichtigen. Insbesondere kann eine Berücksichtigung gerechtfertigt sein, wenn das Amt zur Auffassung gelangt, dass die verspätet vorgebrachten Gesichtspunkte auf den ersten Blick von wirklicher Relevanz für das Ergebnis des bei ihm eingelegten Widerspruchs sein können und wenn das Verfahrensstadium, in dem das verspätete Vorbringen erfolgt, und die Umstände, die es begleiten, einer solchen Berücksichtigung nicht entgegen stehen.[8]Ob eine Berücksichtigung verspäteten Vorbringens zum Einzelfall erfolgt oder nicht, ist vom Amt zu begründen.[9] Das Amt wird keinen vollkommen neuen Vortrag berücksichtigen, sondern nur Ergänzungen zu früherem Vortrag. Diese Rechtsprechungsgrundsätze sind jetzt in Art. 8 Abs. 5; 10 Abs. 7 DVUM teilweise kodifiziert.

Beibringung

Die in der Praxis wahrscheinlich bedeutsamste Einschränkung des Untersuchungs-grundsatzes der UMV findet sich in Art. 95 Abs. 1 S. 2 UMV: 

In den Verfahren betreffend die relativen Eintragungshindernisse ist das Amt bei der Sachverhaltsermittlung auf die Anträge und das Vorbringen der Parteien beschränkt (Beibringungsgrundsatz). Der Beibringungsgrundsatz gilt daher im Widerspruchsverfahren, in dem relative Eintragungshindernisse im Sinne von Art. 8 UMV geltend gemacht werden, sowie (häufig übersehen!) im Nichtigkeitsverfahren, wenn und soweit in diesem Verfahren relative Nichtigkeitsgründe (Art. 60 UMV) geltend gemacht werden. Allerdings verbietet es Art. 76 Abs. 1 S. 2 UMV nach ständiger Rechtsprechung nicht, dass die Instanzen des Amtes ihre Entscheidungen nicht nur auf die von den Verfahrensbeteiligten vorgetragenen Tatsachen und beigebrachten Beweise, sondern auch auf offenkundige Tatsachen stützen.[10] Dies gilt auch für ein Verfallsverfahren, das auf eine nicht rechtserhaltende Benutzung gestützt wird.[11]


[1] Vgl. EuG, 26.01.2006, T-317/13, GRUR Int. 2006, 312 (313) – Volkswagen ./. HABM (Variant).

[2] Vgl. BGH, 23.10.2008, I ZB 48/07, GRUR 2009, 669, 672, Rn. 31 – POST II.

[3] Vgl. EuG, 15.07.2011, T-108/08 - Davidoff ./. HABM. 

[7] Vgl. EuGH, 13.03.2007, C-29/05 P – HABM ./. Kaul.

[8]  Vgl.  EuGH, 13.03.2007, C-29/05 P – HABM ./. Kaul.

[9]  Vgl.  EuGH, 13.03.2007, C-29/05 P – HABM ./. Kaul.

[10] Vgl. EuG, 15.02.2013, T-13/11, GRUR Int. 2013, 250 (252) – Welte-Wenu GmbH ./. HABM.

[11] Vgl. EuG, 15.9.2011, T-434/09 - Centrotherm ./. HABM.

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