Haftung bei Steuerhinterziehung, § 71 AO

Haftung SteuerhinterziehungDie Haftung bei Steuerhinterziehung nach § 71 der Abgabenordnung (AO) stellt eine bedeutende Ausnahme vom Grundsatz dar, dass jeder nur für seine eigenen Steuerschulden haftet. Die Norm erweitert die Haftung auf Personen, die an einer Steuerhinterziehung beteiligt waren, obwohl sie nicht der eigentliche Steuerschuldner sind. Die Regelung ist daher von großer praktischer Relevanz, etwa für Geschäftsführer, Steuerberater oder Dritte, die sich an einer Steuerverkürzung beteiligen oder diese ermöglichen. Die finanziellen Folgen einer Haftung gem. § 71 AO sind in den meisten Fällen erheblich, oftmals auch existenzbedrohend. Die Möglichkeit einer Inanspruchnahme als Haftungsschuldner sollte deshalb frühzeitig erkannt und mit den nachfolgend dargestellten Instrumenten verhindert werden.

Rechtsgrundlage und Problematik

Rechtsgrundlage für eine Haftung bei Steuerhinterziehung ist § 71 AO. Dieser lautet:

§ 71 Haftung des Steuerhinterziehers und des Steuerhehlers

Wer eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt, haftet für die verkürzten Steuern und die zu Unrecht gewährten Steuervorteile sowie für die Zinsen nach § 235 und die Zinsen nach § 233a, soweit diese nach § 235 Absatz 4 auf die Hinterziehungszinsen angerechnet werden.

Diese Vorschrift knüpft an eine Steuerstraftat (Steuerhinterziehung gem. § 370 AO oder Steuerhehlerei gem. § 374 AO) an und begründet eine Art  zivilrechtlich wirkende Haftung auf der Grundlage eines deliktischen Verhaltens. Im Gegensatz zu § 69 AO, der die Haftung für steuerliche Pflichtverletzungen regelt (z. B. bei Geschäftsführern), ist § 71 AO strikt an die Tatbestandsverwirklichung einer Steuerhinterziehung gebunden.

Die Haftung nach § 71 AO ist für die Betroffenen in mehrfacher Hinsicht problematisch:

Die betroffene Person wird nicht nur strafrechtlich belangt, sondern muss zusätzlich auch die hinterzogenen Steuern zahlen, obwohl sie nicht selbst Steuerschuldner ist. Dabei findet keine Begrenzung auf einen persönlichen Tatvorteil statt. Die Haftungssumme kann die gesamte hinterzogene Steuerschuld umfassen. Schließlich können bereits isolierte Einzeltätigkeiten wie z.B. die Teilnahmehandlung der Beihilfe für eine Haftung genügen, selbst wenn der Betroffene keinen unmittelbaren Zugriff auf die Steuerangelegenheiten hatte.

Voraussetzung der Haftung

Damit eine Haftung nach § 71 AO greift, müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:

ChecklisteCheckliste Haftung Steuerdlikt § 71 AO 

  1. Vorsätzliche Steuerstraftat oder Teilnahme daran (Beihilfe oder Anstiftung)
  2. Fremdbezug: keine eigene Steuerhinterziehung
  3. Steuerverkürzung oder unrechtmäßige Steuervorteile
  4. Kausalität zwischen Tatbeitrag und Steuerverkürzung

Das Finanzamt muss die vorgenannten Voraussetzungen vollständig nachweisen. Die Feststellungslast liegt beim Finanzamt Der strafrechtliche Grundsatz „in dubio pro reo“ findet im Haftungsverfahren keine direkte, allerdings mittelbare Anwendung.

Verfahren der Inanspruchnahme

Ermittlungen

Ausgangspunkt eines Haftungsverfahrens nach § 71 AO sind Ermittlungen des Finanzamts, welche unterschiedlich umfangreich ausgestaltet sein können. Diese können aktiv geführt werden oder passiv auf anderweitige Ergebnisse wie z.B. Kontroillmitteilungen aus anderen Steuerverfahren zurück gehen.

Typische Ermittlungsansätze sind z. B.

Als Beweismittel für eine Haftung kommen u.a. Zeugenaussagen, Urkunden oder sogar Geständnisse aus einem parallelen Steuerstrafrafverfahren in Betracht. Ein rechtskräftiges strafgerichtliches Urteil kann dabei jedenfalls faktisch eine bindende Wirkung für das Haftungsverfahren haben muss aber nicht zwingend vorliegen.

Anhörung

Der Betroffene muss in diesem Verfahren angehört werden, § 91 AO. Die Anhörung muss regelmäßig erfolgen, bevor ein Haftungsbescheid erlassen wird. 

Tipp


Experten-Tipp: Spätestens bei Übersendung eines Anhörungsschreiben durch das Finanzamt sollte unverzüglich reagiert werden und eine detaillierte Stellungnahme mit einer Argumentation erstellt werden, die gegen eine Haftung wegen Steuerhinterziehung sprechen. So kann ggf. noch das Haftungsverfahren verhindert oder jedenfalls der Umfang einer Haftungsschuld bestmöglich reduziert werden.



Haftungsbescheid

Die eigentliche Geltendmachung der Haftung erfolgt durch einen Haftungsbescheid gem. § 191 AO, der einen Verwaltungsakt darstellt. Dieser Bescheid muss hinreichend bestimmt sein und insbesondere:

  • die haftungsbegründende Handlung, hie die Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei darstellen,
  • die konkrete Steuerforderung bezeichnen,
  • den Haftungsumfang genau benennen.

Abwehr der Haftung

Übersicht 

Die Haftung nach § 71 AO bei Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei kann neben strafrechtlichen insbesondere weitreichende finanzielle Konsequenzen haben. Umso wichtiger ist es, frühzeitig und strategisch vorzugehen, um eine Haftung abzuwehren oder deren Folgen maximal zu reduzieren, insbesodere eine etwaige Haftungssumme zu vermindern. Im Folgenden werden relevante Möglichkeiten in weitgehend chrolologischer Reihenfolge dargestellt, beginnend mit präventiven Maßnahmen und fortschreitend über taktisches Verhalten im Straf- und Steuerverfahren bis hin zu den formellen Rechtsbehelfen nach Erlass eines Haftungsbescheids.

Prävention

Ordnungsgemäße Buchführung und Steuererklärung: Die wohl grundlegendste Maßnahme zur Vermeidung von Haftung ist die korrekte und vollständige steuerliche Deklaration. Wer seine steuerlichen Pflichten sorgfältig erfüllt, setzt sich nicht der Gefahr einer Steuerhinterziehung und damit auch keiner Haftung gem. § 71 AO aus.

Steuerliche Beratung und Dokumentation: Eine frühzeitige und umfassende steuerliche Beratung kann helfen, Zweifelsfälle rechtskonform zu lösen. Gleichzeitig sollte die Entscheidungsfindung schriftlich dokumentiert werden (sog. „Defensivdokumentation“), um im Streitfall nachweisen zu können, dass kein Vorsatz vorlag. Ohne Vorsatz ist der (subjektive) Staftatbestand der Steuerhinterziehung nicht erfüllt. Eine Haftung gem. § 71 AO scheidet aus.

Vermeidung strafbarer Mitwirkungshandlungen: Dritte, wie Steuerberater, Assistenten oder Mitarbeiter, können durch aktives Mitwirken an einer Steuerverkürzung haftbar gemacht werden. Schon durch das Unterlassen von Prüfpflichten kann ein Gehilfe ggf. haftbar werden. Daher sind tatsächliche oder auch nur mögliche Mitwirkungshandlungen zu vermeiden. Als ultima ratio muss ggf. auf die jeweilige Position verzichtet werden, z.B. ein Steuerberatungsmandat gekündigt oder eine Geschäftsführerstellung beendet werden.

Selbstanzeige gem. § 371 AO

Liegt bereits eine Steuerhinterziehung vor, sollte die Möglichkeit einer strafbefreienden Selbstanzeige gem. § 371 AO geprüft und ggf. eine solche abgegeben werden. Eine solche Selbstanzeige stellt die wirksamste Möglichkeit dar, einer strafrechtlichen Verfolgung zu entgehen. Wird die Selbstanzeige vollständig, rechtzeitig und formwirksam abgegeben und werden die hinterzogenen Steuern und Zinsen fristgerecht nachbezahlt, entfällt die Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung. 

Wichtige Voraussetzungen der Selbstanzeige sind:

  • die Selbstanzeige muss alle unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart vollständig offenlegen
  • die Selbstanzeige darf nicht nach Entdeckung durch die Finanzbehörden oder Ermittlungsbehörden erfolgen
  • sämtliche hinterzogenen Steuern müssen fristengetreu nachentrichtet werden

Weitere Einzelheiten zur Selbstanzeige Selbstanzeige 

Zu beachten ist, dass auch die Einreichung einer formal korrekten Selbstanzeige als solche nicht von einer möglichen Haftung gem. § 71 AO befreit. Erst wenn auch die vollständige Nachzahlung der Steuern und Zinsen erfolgt ist, scheidet eine Haftung aus. Dieser Ausschluss der Haftung resultiert allerdings nicht aus der Selbstanzeige als solcher, sondern aus dem Wegfall der Steuerschuld. Ohne Steuerschuld existiert auch keine Haftungsschuld.

Ermittlungsverfahren / Steuerstrafverfahren 

Rechtsbeistand einschalten: Wird ein Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung (vgl. Steuerfahndung) eingeleitet, ist es entscheidend, sofort einen spezialisierten Steuerstrafrechtler einzuschalten. Dieser kann frühzeitig die Weichen für eine effektive Verteidigung und die damit verbundene spätere Haftungsvermeidung oder -redizierung stellen. Je früher eine individuelle Verteidigungs- und Abwehrstrategie entwickelt wird, umso besser sind die Erfolgsaussichten in den weiteren Verfahren.

Keine voreiligen Aussagen: Eine unüberlegte Aussage gegenüber dem Finanzamt oder der Steuerfahndung kann als Geständnis oder Schuldeingeständnis gewertet werden. Es können hierdurch ggf. dauerhafte und nicht wieder korrigierbare Nachteile für die Betroffenen entstehen.

Ggf. Kooperation (nur in Abstimmung mit Verteidigung): In manchen Fällen kann eine kooperative Haltung, etwa durch Mitwirkung an der Sachverhaltsaufklärung, zu einer geringeren Bestrafung führen. Dies kann sich mittelbar auch auf die Höhe der im Haftungsbescheid festgelegten Haftungssumme auswirken und diese teilweise deutlich reduzieren. Hierzu muss allerdings wohlüberlegt und in umfassender Kenntnis des zugrundeliegenden Sachverhalts mit allein Details vorgegangen werden. Eine vorherige Akteneinsicht in die Ermittlungsakten und alle weiteren bei den Behörden vorhandenen Akten ist dafür zwingend erforderlich!

Verhinderung des Haftungsbescheids

Bevor ein Haftungsbescheid ergeht, ist der Betroffene wie bereits aussgeführt gemäß § 91 AO anzuhören. Eine fundierte und gut begründete Stellungnahme im Rahmen der Anhörung ist die letzte Chance, den Erlass des Haftungsbescheids zu verhindern.

Im Rahmen der Stellungnahme bestehen z.B. folgende Abwehrmöglichkeiten:

  • Bestreiten der vorsätzlichen Beteiligung.
  • Hinweis auf fehlende Kausalität oder Mitwirkung.
  • Aufzeigen rechtlicher oder tatsächlicher Unklarheiten.
  • Ggf. Berufung auf Verjährung 

Eine gut begründete Stellungnahme kann das Finanzamt vom Erlass des Bescheids abbringen oder zu einer geringeren Haftungssumme führen.

Rechtsschutz nach Erlass des Haftungsbescheids

Einspruch

Der formelle Einspruch ist der erste Schritt zur Abwehr eines bereits erlassenen Haftungsbescheids. Hierbei sind verschiedene formelle Voraussetzungen zu beachten. Insbesondere muss die Einspruchsfrist eingehalten werden und der fristgerechte Zugang des Einspruchs beim Finanzamt nachgewiesen werden können. 

Der Einspruch muss innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Bescheids beim zuständigen Finanzamt eingelegt werden.

Argumente zur Begründung des Einspruchs können z.B. sein:

  • Keine vorsätzliche Beteiligung an einer Steuerhinterziehung.
  • Fehlerhafte Tatsachenfeststellung.
  • Unverhältnismäßige Haftungssumme.
  • Formelle Fehler des Bescheids.
  • Eintritt der Verjährung.

Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV)

Da Haftungsbescheide sofort vollziehbar sind, kann ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) gemäß § 361 AO gestellt werden. Ein erfolgreicher AdV-Antrag verschafft Zahlungsaufschub bis zur Entscheidung im Einspruchs- oder Klageverfahren. 

Klage vor dem Finanzgericht

Wird der Einspruch abgelehnt, kann der Haftungsschuldner vor dem Finanzgericht Klage erheben. Im Rahmen des Klageverfahrens werden vom Finanzgericht objektiv und unabhängig die Voraussetzungen des § 71 AO überprüft. Es wird dabei insbesondere geprüft, ob eine Steuerhinterziehung unter Beteiligung des Betroffenen tatsächlich vorliegt und ob die Kausalität zwischen Handlung und Steuerverkürzung gegeben ist.

Die Klage zum Finanzgericht ist ebenfalls innerhalb eines Monats nach Zustellung der Einspruchsentscheidung zu erheben.

Eine erfolgreiche Klage wird den Bescheid aufheben oder abändern.

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