Tatsächliche Verständigung im Steuerrecht

tatsächliche VerständigungDie tatsächliche Verständigung ist eine von der Rechtsprechung anerkannte Möglichkeit der einvernehmlichen Streitbeilegung im Steuerrecht. Die tatsächliche Verständigung erfolgt zwischen dem Steuerpflichtigen und der Finanzverwaltung, i.d.R. dem Finanzamt. Beim Abschluss einer tatsächlichen Verständigung müssen bestimmte Voraussetzungen beachtet werden, damit die Wirkasmkeit der Regelungen sichergestellt ist. Insbesondere dürfen nur Sachverhaltsfragen Gegenstand der tatsächlichen Verständigung sein.

Grundlagen

Vergleiche über Steueransprüche sind nach ständiger Rechtsprechung im Hinblick auf Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung unzulässig.[1]  Die in zivilrechtlichen Verfahren sowohl außergerichtlich als auch gerichtlich häufig anzutreffende Praxis, Meinungsverschiedenheiten durch einen Vergleich (§ 779 BGB) einvernehmlich im allseitigen Interesse der Parteien beizulegen, ist im Steuerrecht bzw. bei Meinungsverschiedenheiten mit dem Finanzamt damit nicht möglich. 

Als Alternative zum Vergleich existiert im Steuerrecht das Instrument der tatsächlichen Verständigung. Diese bietet in einem gewissen Umfang ebenfalls die Möglichkeit der einvernehmlichen Streitbeendigung. Die tatsächliche Verständigung ist eine von der Rechtsprechung als Instrument der Streitbeilegung anerkannt[2].

Gegenstand der tatsächlichen Verständigung können dabei nur Sachverhaltsfragen sein. Besonders praxisrelevante Fragen betreffen dabei etwa Spielräume in den nachfolgend genannten Konstellationen:

  • Schätzungen
  • Bewertungen, 
  • Beurteilungen 
  • Beweiswürdigungen.

Außerhalb der Sachverhaltsermittlung ist eine tatsächliche Verständigung unzulässig. Insbesondere die den folgenden Fragen können nicht Gegenstand einer tatsächlichen Verständigung sein. 

  • zweifelhafte Rechtsfragen, 
  • bestimmte Rechtsfolgen,
  • Anwendbarkeit bestimmter Rechtsnormen

Wirksamkeit

Die tatsächliche Verständigung zunächst unwirksam, wenn sie außerhalb der Sachverhaltsermittlung getroffen wurde, also z.B. Regelungen über bestimmte Rechtsfolgen trifft.

Daneben ist die tatsächliche Verständigung unwirksam, wenn sie unter Ausübung unzulässigen Drucks auf den Steuerpflichtigen oder durch dessen unzulässige Beeinflussung zustande gekommen ist. In diesem Zusammenhang treten in der Praxis immer wieder Fälle auf, in denen die Amtsträger, z.B. der Betriebsprüfer mit der "Einleitung eines Steuerstrafverfahrens" bzw. der "Abgabe der Sache an die Steuerfahndung" droht, falls keine schnelle Einigung zustande kommt. 

Die tatsächliche Verständigung ist außerdem unwirksam, wenn sie zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führt. Dies ist der Fall, wenn die Vereinbarung gegen die Regeln der Logik oder gegen allgemeine Erfahrungssätze verstößt. Als weitere Gründe für eine Unwirksamkeit der tatsächlichen Verständigung kommen die im BGB genannten Unwirksamkeitsgründe nach §§ 117, 119, 120, 123, 154, 164 ff. 313 BGB in Betracht. Entsprechende Regelungen dürfen also nicht Gegenstand einer tatsächlichen Verständigung sein.

Beteiligte

Für die Wirksamkeit einer tatsächlichen Verständigung ist es zudem erforderlich, dass das Finanzamt von einem für die Entscheidung über die Steuerfestsetzung zuständigen Amtsträger vertreten wird.  Dieser muss zur abschließenden Zeichnung berechtigt sein. Ein etwaiger Mangel kann allerdings durch ausdrückliche nachträgliche Zustimmung des zuständigen Amtsträgers gegenüber allen Beteiligten geheilt werden[3].

Soweit der Steuerpflichtige z.B. duch einen Steuerberater oder einen Rechtsanwalt vertreten wird, muss eine Vollmacht i.S.v. § 80 Abs. 1 S. 12 AO vorliegen.

Form

Die tatsächliche Verständigung ist formfrei möglich, sollte aber aus Beweisgründen schriftlich erfolgen. Der Umfang einer tatsächlichen Verständigung kann individuell festgelegt werden. Dabei können auch durchaus umfangreiche Regelungen niedergeschrieben und ein umfangreiches Regelwerk mit Vertragscharakter erstellt werden.

Eine tatsächliche Verständigung kann auch in verkürzter Fassung erfolgen. Die Finanzverwaltung nennt insoweit etwa das folgende Muster-Beispiel[4]:

Nach Erörterung der Sachlage erklären das Finanzamt ..., vertreten durch ..., 
und der Steuerpflichtige ..., vertreten durch ..., übereinstimmend und verbindlich, dass
[Sachverhalt ...].
Die tatsächliche Verständigung ist für alle Beteiligten bindend.
Die Beteiligten bzw. ihre durch Vollmacht ausgewiesenen Vertreter haben am [Datum]
eine Ausfertigung der Niederschrift erhalten.
[Unterzeichnung durch die Beteiligten]

Besonderheiten bei Steuerstrafverfahren

In Fällen, in denen parallel zum Besteuerungsverfahren ein Steuerstrafverfahren läuft, ist zwingend eine auf die Berücksichtigung dieses Strafverfahrens bei der tatsächlichen Verständigung zu achten. Hierzu bieten sich zwei verschiedene Ansätze an. 

Zunächst kann das Steuerstrafverfahren ausdrücklich von der tatsächlichen Verständigung ausgenommen werden. Die Beteiligten des Steuerstrafverfahrens, insbesondere die Bußgeld- und Strafsachenstelle entscheiden dann ohne Rückgriffsmöglichkeit auf die tatsächliche Verständigung eigenständig und ohne Präjudiz. In der schriftlich niedergelegten tatsächlichen Verständigung sind dann konkrete und eindeutige  Ergänzungen mit Blick auf das Steuerstrafverfahren vorzunehmen, damit für den Steuerpflichtigen im Strafverfahren keine Verschlechterung seiner Rechtsposition eintritt. Dies kann z.B. wie folgt geschehen: 

Ein Zugeständnis im Hinblick auf einen etwaigen strafrechtlichen Vorwurf gegen den 
Steuerpflichtigen ist mit der tatsächlichen Verständigung nicht verbunden und
wird ausdrücklich verneint.

Alternativ kann das Steuerstrafverfahren ausdrücklich in die tatsächliche Verständigung einbezogen werden. Erforderlich ist dann Teilnahme und Zustimmung eines für das Steuerstrafverfahren zuständigen Entscheidungsträgers zur tatsächlichen Verständigung. Die tatsächliche Verständigung wäre in diesem Fall von zwei Vertretern der Finanzverwaltung zu unterzeichnen, einmal dem Zuständigen für das Besteuerungsverfahren und einmal dem Zuständigen für das Steuerstrafverfahren. Entsprechend höher ist der Koordinationsaufwand für den Abschluss der tatsächlichen Verständigung .


[1]   Vgl. RFH, 14.10.36, VI A 723/36, RStBl. 36, 1077; BFH, 27.1.55, IV 281/54, BStBl. III 55, 92; BFH 26.5.61, III 326/58, BStBl. III 61, 380.

[2]   BFH, 11.12.1984, VIII R 131/76, BStBl. II 85, 354 = NVwZ 1985, 863.

[3]   Vgl. BMF Schreiben vom 30. 07. 2008, IV A 3 – S 0223/07/10002, BStBl. I 08, 831 = DStR 2008, 1589, Ziff. 5.3.

[4]   BMF Schreiben vom 30. 07. 2008, IV A 3 – S 0223/07/10002, BStBl. I 08, 831 = DStR 2008, 1589, Ziff. 5.5.

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