Nötigung und Gewalt, § 4a Abs. 1 Nr. 2 UWG

Die Nötigung einschließlich der Anwendung körperlicher Gewalt stellt unter den Voraussetzungen des § 4a Abs. 1 Nr. 2 UWG eine aggressive geschäftliche Handlung dar. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, dass der Einsatz solcher Mittel unlauter ist. Die Fallgestaltungen unterfielen § 4 Nr. 1 UWG 2004 unter dem Gesichtspunkt der Ausübung von Druck. Man kann insoweit zwischen physischem und psychischem Druck unterscheiden, die beide unter den Oberbegriff der Nötigung eingeordnet werden können.

Physischer Druck / Körperliche Gewalt

Der Einsatz von physischem Druck, also körperlicher Gewalt, ist stets unlauter und stellt eine aggressive geschäftliche Handlung gem. § 4a Abs. 1 Nr. 2 UWG.

Die Fälle, in denen der Gewerbetreibende einen Verbraucher zum Zwecke des Geschäftsabschlusses in sein Geschäft zerrt, sind zwar selten. Im Fall sogenannter Kaffeefahrten soll es allerdings hin und wieder vorkommen, dass die Teilnehmer während der Verkaufsveranstaltung in einen Saal eingeschlossen und erst bei Erreichen eines Mindestumsatzes wieder herausgelassen werden. Auch dies ist unzulässig.

Psychischer Druck

Die Ausübung von psychischem ist vorstellbar, wenn der Verbraucher für den Fall der Ablehnung eines Geschäftsangebotes mit moralischen Vorwürfen rechnen muss. Als Beispiel wird insoweit der Veranstalter einer Kaffeefahrt genannt, der den Kaufunwilligen vor den anderen Teilnehmern vorwirft, sie seien „Schmarotzer“, weil sie ihren Beitrag zur Deckung der Kosten nicht leisten wollten.[1]

Dabei ist jedoch zu beachten, dass der Druck so intensiv sein muss, dass die Fähigkeit des Verbrauchers oder sonstigen Marktteilnehmers, eine rationale, informationsgeleitete Entscheidung zu treffen, erheblich zu beeinträchtigen. Bloße Appelle an die Hilfsbereitschaft oder das Sozialgefühl, mögen sie auch gezielt das schlechte Gewissen ansprechen, reichen nicht aus.[2] Auch die Ausnutzung von Stolz und Ehrgeiz der Werbeadressaten gehören nicht zu aggressiven Geschäftspraktiken.[3]

Eine unzulässige Beeinflussung kann in der Erzeugung eines psychischen oder moralischen Kaufzwanges gegeben sein, bei dem der Werbende den Verbraucher gezielt in eine als unangenehm empfundene Situation bringt, aus der sich der Verbraucher nur durch den Vertragsschluss lösen kann. Hier steht die Ausnutzung des Anstandsgefühls durch persönliche Beeinflussung im Vordergrund. Psychischer oder moralischer Kaufzwang liegt vor, wenn der Werbende den Verbraucher in eine Situation bringt, in der er anstandshalber oder um einer für ihn peinlichen Situation zu entgehen, eine Ware entgeltlich abnimmt bzw. eine kostenpflichtige Dienstleistung in Anspruch nimmt.[4] In der Regel wirbt der Unternehmer zunächst mit einem Vorteil und bietet nach dessen Inanspruchnahme durch den Verbraucher den Abschluss eines Geschäftes an. In vielen Fällen wird der Verbraucher dann, um nicht undankbar zu erscheinen, dieses Angebot ohne Rücksicht auf dessen Wert und sein tatsächliches Interesse annehmen.

Wesentlich für die Beurteilung der Unlauterkeit sind die Intensität des persönlichen Kontaktes und der Wert der Zuwendung für den Verbraucher. Dabei muss die Zuwendung objektiv einen gewissen Wert aufweisen, da andernfalls nicht das Gefühl einer Anstandspflicht beim Verbraucher entstehen kann. Das Anbieten einer Gratisprobe von Lebensmittel an einem Stand ist daher grundsätzlich unbedenklich, auch wenn der Werbende damit seinen Absatz fördern will. Als unzulässig hat es der BGH angesehen, dass der Hersteller eines Haartönungsmittels mit der Durchführung eines kostenlosen Probefärbens bei einem Friseur warb, weil hier der Wert des Geschenkes und der persönliche, individuelle Kontakt zwischen Friseur und Verbraucher diesen verleitet, aus Dankbarkeit einen Kauf zu tätigen.[5] Andererseits besteht nach der Rechtsprechung kein psychischer Kaufzwang, wenn der Verbraucher bei einer Warenbestellung im Versandhandel ab einem Bestellwert von 55 DM zugleich einen Schal im Wert von 20 – 30 DM zum Preis von nur 2 DM erwerben und diesen auch bei Rücksendung der Waren behalten kann. Der entscheidende Punkt lag darin, dass bei einer Bestellung im Versandhandel mangels persönlichen Kontakts eine unsachliche Beeinflussung unwahrscheinlich ist und der Verbraucher daher eine überlegte Entscheidung treffen kann.[6]

Auch die Überrumpelung des Abnehmers durch den Werbenden, z.B. bei einem spontanen, unerwarteten Angebot kann in die Fallgruppe des psychischen Drucks nach § 4a Abs. 1 Nr. 2 UWG fallen, wobei hier das bloße Überraschungsmoment regelmäßig nicht ausreichen dürfte.

Drohungen

Auch Drohungen sind unlauter, wenn diese dazu führen können, dass sich der Betroffene zur Vermeidung der angedrohten Nachteile der Drohung beugt. § 4a Abs. 2 Nr. 5 UWG benennt ausdrücklich die Drohung mit rechtlich unzulässigen Handlungen als einen für die Beurteilung relevanten Umstand. 

Für die Annahme einer unlauteren Drohung müssen die Straftatbestände der Nötigung gem. § 240 StGB und/oder der Erpressung gem. § 253 StGB nicht zwingend erfüllt sein. Sind die Straftatbestände allerdings erfüllt, liegt immer auch eine aggressive geschäftliche Handlung nach § 4a Abs. 1 Nr. 2 UWG vor.


[1] Vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen, Köhler, UWG, 39. Aufl. 2020, UWG §4a Rn 1.78.

[2] Vgl. auch BGH, 21.07.2016, I ZR 127/15, GRUR 2017, 199 – Förderverein.

[3] Vgl. BGH, 03.04.2014, I ZR 96/13, GRUR 2014, 1117, Rn. 27 – Zeugnisaktion.

[4] Vgl. BGH, 05.05.1972, I ZR 124/70, GRUR 1972, 603 – Kundeneinzelbeförderung; vgl. auch Köhler/Bornkamm/Feddersen, Köhler, UWG, 39. Aufl. 2020, UWG § 4a, Rn 1.80.

[5] Vgl. BGH, 18.09.1997, I ZR 119/95, GRUR 1998, 475 – Erstcoloration.

[6] Vgl. BGH, 06.06.2002, I ZR 45/00, GRUR 2002, 1000, 1002 – Testbestellung.

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